Ich heisse Evelyn Miller und ich kann nicht mehr. Ich schaffe es einfach nicht. Warum soll ich weiterleben, auf einer kaputten Erde, mit gemeinen Menschen und den vielen Kriegen?
Diese Gedanken gehen mir gerade im Kopf herum. Ich starre die Rasierklinge an. Ich muss nur meine Pulsadern öffnen, und dann ist es alles vobei. Ich atme tief ein. Wenn ich nicht leben möchte, warum ist es dann so schwierig, mein Leben zu beenden? Ich lege die Klinge auf mein Handgelenk. Ich atme wieder tief ein, und bemerke ruckartig, dass es vielleicht das letzte Mal ist, dass ich atme. Ich schliesse meine Augen, und-
«Warte!» Ich höre eine Stimme. Ich öffne meine Augen und sehe eine Person, die vor mir steht. Sie steht im Schatten, ich kann ihr Gesicht nicht sehen, aber ihre Stimme kommt mir bekannt vor. Es ist die Stimme einer Frau. Sie spricht mit mir.
«Nimm dir bitte nicht das Leben. Darf ich dir etwas zeigen? Bitte. Ich schwöre, dass es dir helfen wird.»
Ich gehe langsam rückwärts, entferne mich von der Figur. «Wer bist du?» frage ich. Ich bin fast an der Tür, noch 3 Meter, 2, 1, wumms. Die Tür schliesst sich mit einem Ruck und ich höre, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht.
« Evelyn, hör mir bitte zu. Ich bin ein Gespenst. Komm mit mir, hab keine Angst». Wie kennt dieses Gespenst meinen Namen? Sie fasst mich an den Handgelenken und ich sehe, dass ihre Narben haben. «Ich will dir etwas zeigen, aber du musst die Augen schliessen.»
Ich schliesse die Augen, und als ich sie öffne sehe ich ein Mann, der in einer Seitenstrasse sitzt und in seine Hände blässt. Menschen sehen ihn, aber sie gehen an ihm vorbei. Seine Kleidung ist voller Löcher, und sein Bett ist aus alten Pizzakartons. Vor ihm steht ein Schild «Hallo, ich heisse Bert, ich habe Hunger». Er sieht den Schatten eines jungen Mannes. «Hallo Bert, frohe Weihnachten. Ich habe heute nichts für dich.» Es ist Alfie, ein Mann, der Bert jeden Tag besucht, und ihm Essen kauft. « Aber ich möchte dich zum Weihnachtsessen mit meiner Familie einladen.» Bert fängt an zu weinen. «Danke, danke, danke». Zusammen gehen die zwei Männer zu Alfie nach Hause.
Ich weine, als das Gespenst mir wieder sagt, die Augen zu schliessen.
«Siehst du? Es gibt immer noch gute Leute auf der Welt. Du darfst sie nicht verlassen. Bitte verlass sie nicht». Ich schniefe, Tränen laufen über meine Wangen. «Aber das war nur eine Person». Das Gespenst seufzt laut. «Öffne die Augen».
Jetzt sehen wir viele Menschen, so viele Menschen. Manche haben Poster, andere schreien in Megafone. Auf den Postern stehen Sachen so wie: «No Planet B», oder «Climate change is worse that homework».
«Warte, alle diese Menschen demonstrieren gegen den Klimawandel?» staune ich. Das Gespenst nickt. «Schau näher.» Sie zeigt zu einer Frau, die in ein Megafon schreit. Ich kenne sie. Sie ist eine wichtige Politikerin, die sehr viel Einfluss in der Politik hat. «Meinst du, sie können etwas bewirken?» frage ich. «Vielleicht, wenn jemand ihnen zuhört. Schliesse wieder die Augen, dies hier wird das Letzte sein, was ich dir zeige.» Ich schliesse wie jedes Mal die Augen.
Als ich meine Augen wieder öffne, sind wir in einer zerbombten Stadt. Die Häuser fallen fast in sich zusammen, jedoch leben Menschen in ihnen. Eine junge Frau sitzt auf dem Boden eines Hauses, umringt von 14 jungen Kindern, die ihr alle aufmerksam zuhören. Sie bringt ihnen bei, wie man multipliziert. Ein Mann geht in das zerfallene Haus. Er hat eine Tafel Schokolade, die er mit den Kindern teilt. Die Kinder umringen ihn mit strahlenden Augen. Er sagt er hätte lange gespart und hätte jetzt endlich genug Geld gehabt, um ihnen die Schokolade zu kaufen.
Jetzt sind wir in einem anderen Haus. Wir sehen ein junges Mädchen, das in ihrem Tagebuch schreibt, dass, auch wenn ihr Haus zerbombt wurde und sie hungert, sie immer noch glücklich ist, dass sie und ihre ganze Familie noch am Leben sind.
Die Szene endet und ich frage: «Wie konnten sie so optimistisch sein, auch wenn sie langsam sterben?» Evie antwortet: «Ich weiss es nicht, aber sie schaffen es.»
Ich weine wieder. «Ich bin so schwach! Wieso weine ich wieder?» Das Gespenst nimmt mich in ihre Arme und umarmt mich fest. «Du bist nicht schwach, ok? Verstehst du jetzt, wieso ich hier bin? Lebe bitte weiter.» Ich nicke. Tränen kullern mir übers Gesicht. «Versprich es mir, bitte.» Sie weint jetzt auch. «Bitte, du musst es mir versprechen.» Ich nicke. «Ich verspreche dir, dass ich weiterleben werde».
Plötzlich wird sie schwächer, sie verschwindet langsam. Ich reibe mir die Augen. Sie wird schwächer und schwächer. Sie lächelt.
«Wer bist du? Was passiert mit dir?»
«Mein Name ist auch Evelyn Miller. Ich bin der Geist von dir, wenn du dir das Leben genommen hättest. Ich habe erst danach bemerkt, dass alles nicht so schlimm ist, und ich wollte es dir vorher zeigen.» Sie lächelt, und ihr Lächeln verschwindet mit ihr.
Ich stürze zu Boden, weine so viele Tränen, dass ich mich anfühle, als würde ich ertrinken. Ich schaue auf mein Handy und lächle. Es ist leer, aber auf dem schwarzen Bildschirm sehe ich sie zurücklächeln.
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