"Zukunft" - Eine Geschichte von Dorothea Knezević - Young Circle

«Zukunft» – Eine Geschichte von Dorothea Knezević

Member Stories 2023

«Zukunft» – Eine Geschichte von Dorothea Knezević

Ein Dialog über Farben und Schatten, ein gebrochener Vorsatz und eine zufällige Begegnung im Bus – so beginnt eine introspektive Reise, die die Protagonistin an einem Neujahrsmorgen in ein Dorf namens Fremtiden führt. Eine Geschichte, die die Bedeutung von Farben, Schatten und Selbstreflexion erkundet.

«Sie haben Schwarz und Weiss gemeint?»

«Ja.»

«Und was wollten Sie damit sagen? Schwarz und Weiss lässt ihre Schatten tanzen?»

«Ja.»

«Das Farben Kontrolle über ihre Schatten besitzen, sie regieren?

Und Schwarz und Weiss überlassen den Schatten die Kontrolle über sich?»

«Ja.»

«Wie ist das zu verstehen?»

«Lassen Sie sich Zeit.»

«Wer?». «Ich mir?»

«Ja.»

«Heisst farbenfroh schattenlos?»

Hast du schon einmal über dein Leben in Schwarz und Weiss nachgedacht? Stell es dir vor. Schliess’ deine Augen. Die Gegenstände, die Menschen, die umgeben wären von schwarzer Farbe, weil du es so willst. Die Menschen, die umgeben wären von weisser Farbe, weil du es so willst. Du könntest die Bedeutung der beiden Farben umdrehen, sie weniger unterschiedlich machen. Versuchen sie gleichzusetzen. Du könntest die Schatten deutlicher sehen. Überall wären Schatten und du müssest sie nicht von einer weiteren Farbe unterscheiden, die du noch nicht kennengelernt hast. Wie wäre das? Die Welt der Schatten. Dort, wo die Schatten jedes Menschen sichtbar sind und nicht gesucht werden müssen. Aber die Welt ist farbig. Wie schön. Voller Farben. Siehst du die Schatten? Die sich zwischen den Farben einschleichen. Sich an den Enden von Kanten, Abrundungen dieser Welt verstecken. Den Malern dieser Welt fallen sie auf. Sie lernen darüber, lernen sie zu lieben, zart mit den Pinseln nachzuahmen, lernen über sie und ihre Gegenteile. Die Schönheit. Die Farben. Sind Schatten farbig? Ich glaube nicht. Diese Welt ist farbig. Hier werden die Farben jedes Menschen hervorgehoben und die Schatten nur in der Dunkelheit, nach dem nach Hause kommen, in einsamen Nächten, kennengelernt.

Es ist kurz nach Mitternacht. Ich hatte ursprünglich geplant mit geschlossenen Augen und kontrolliertem Atem eingekuschelt im Bett zu liegen, bin jedoch spät dran, denn dieser Plan hätte bereits um neun Uhr vonstatten gehen sollen. Stattdessen bin ich draussen, versuche meine Gedanken zu ordnen, um nicht vollkommen verloren zu sein. Diese Reise hat mir jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Einen unsichtbaren Strich, der rot und dick über meinen Plänen und Träumen ragt und meine Angst auferstehen lässt, dass ich nie die Person werden kann, die ich mir erträume, eines Tages zu sein. Wo war ich? Ich sitze in einer Menschenmenge. In einem öffentlichen Verkehrsmittel. Nach Mitternacht. Es ist Neujahr. Mein erster Vorsatz gebrochen und so ich. Ich falle wieder in ein Loch. Ein imaginäres Loch, gefüllt mit all meinen, mich plagenden, Angewohnheiten. Es ist gefüllt, wie eine Vorratskammer an Ideen eines Künstlers, Koches, Malers, Schriftstellers, eines Komponisten. IHRE Vorratskammer ist voller Positivität, die es kaum erwarten kann aus den Köpfen dieser Menschen hinauszugelangen und dieses Sonnenlicht, diese Farben der Welt zu erblicken. MEINE ist anders gefüllt. Und wieder. Das imaginäre Loch meines porösen Gemüts. Löchrig, weil jedes Loch ein eigenes Loch besitzt. Ich, weder die Kraft noch das nötige Material besitzend sie zu verschliessen. Weil ich keinen Abschluss in Grundbautechnik habe, keine Anleitung, die mir hilft. Ich sitze auf einem der hinteren Sitze, hatte Glück als erste in den Bus zu steigen. Gleichzeitig war mein Pech, dass ich das Geld nicht hatte, um mir mein Ticket zu kaufen. Versprechen haben mir geholfen.

Ich sitze am selben Platz. 60 Minuten lang. 3’600 Sekunden. 3’600’000 Millisekunden. 2 Vorsätze: gebrochen. Und das alles bin ich. Ich renne vor mir weg. Ich glaube die Geldstrafe, die mir bevorsteht, wird mit den rollenden Reifen und der langsam überwindenden Distanz immer grösser. Doch ich sitze da, denke über mich, die erwartende Geldstrafe, meine Vorsätze und meine Ziele nach. Dritter Vorsatz gebrochen: Ich verschwende Zeit, die ich für meine Zukunft und nicht gegen meine Gegenwart benutzen könnte. Mittlerweile hält der Bus. Ein Dorf namens Fremtiden. Die Nacht lässt es schwarz-weiss aussehen. Farbenlos. Aber voller Schatten. Der Mond ist bedeckt von einer dunklen Wolke. Schwarz. Nur Schwärze umgibt uns. Den Bus, die Mitsassen, mich. Mitsassen. Warum benutze ich dieses Wort? Sind wir Gefangene der Dunkelheit? Die letzte Haltestelle: Fremtiden. Hundert Meter entfernt. Farbe. Das Schild mit den Busfahrzeiten ist gelb. Ein Zeichen? Farbe in einem schwarz-weissen Film. Komisch. Und da ist noch etwas. Ein Mann mit grellgelber Jacke. Wir hatten seit mindestens acht Stationen keinen neuen Fahrgast. Warum plötzlich hier? Der Bus hält und der Mann steigt mit starkem Fusstritt in den Bus; lässt den Boden förmlich erzittern.

Man sagt; starkkliegende Fussschritte weisen Selbstbewusstsein auf, resultierend in einer beherrschten Stimme: wahr. «Busskarten bitte.» Mein Körper reagiert. Zittert. In Sekunden schnelle springe ich auf, bevor der Bus seine Türen schliessen kann, und renne. Zur Tür. Ich weiss nicht, ob ich es schaffen werde, ich bin mir nicht sicher, aber ich will es versuchen. Mein Fuss kann ich gerade noch rechtzeitig von der Tür entfernen, bevor sich die Tür schliesst. Ich bin eingeschlossen. Wie eine Mitsassin. Eine Gefangene. Vielleicht ist mir das Wort eingefallen, weil es mir meine Zukunft vorausgesagt hat. Unbewusst. Ich will mich nicht umdrehen. In das Gesicht des Kontrolleurs sehen. Den umgedrehten Kopf des Busfahrers erblicken. Die vorwurfsvollen müden Blicke aller Fremden, die mit mir gefangen in diesem Bus sind.

Wenn ich jedoch darüber nachdenke, bin nur ich eine Gefangene. Weil ich keine Buskarte habe.

«Lass sie raus. Ist eh Neujahr. Ich wollte heute selbst nicht arbeiten.»

«Soll ich wirklich?»

«Mach es einfach. Oder glaubst du sie hat ein Busticket?»

«Frag sie.»

«Miss. Haben sie ein Busticket?»

Sollte ich ihm ehrlich antworten? Gestehen?

«Nein.»

«Siehst du. Lass sie raus. Ich verteil doch keine Bussen an Neujahr.»

Ich bin draussen. Ein Vorsatz habe ich halb eingehalten. Ich fühlte mich wie eine Gefangene, habe das Gefühl jedoch besiegt. Ich habe es dem Kontrolleur zu verdanken, aber diesen Teil der Geschichte verdränge ich stolz. Nein, nicht stolz, sondern wegen meinem Stolz. Wieder ein solches Wort. Dieses Wort und diese Gedanken. «Stolz.» Ich flüstere und wiederhole es einige viel Male, unbewusst. Das sollte ein Mensch empfinden, oder?

Es ist Morgen.

Fremtiden. Hier bin ich nun. Unwissend wo ich bin. Am Neujahresmorgen. Ich weiss, ich bin in einem Dorf, das Schwarz und Weiss lieber hat als Farben. Wie ich. Ich finde wir machen uns gegenseitig komplett. Zukunft (nor. fremtiden). 

«Meine Zukunft.»

Reiche jetzt deine eigene Geschichte ein oder lies weitere Member Stories:

Bewertung