"Wiedersehen" - Eine Geschichte von Hannah Burger - Young Circle

«Wiedersehen» – Eine Geschichte von Hannah Burger

Member Stories 2023

«Wiedersehen» – Eine Geschichte von Hannah Burger

Eine junge Frau, Isobel, hat einen gefährlichen Job als Auftragsmörderin angenommen, um mit ihrer Adoptivschwester Yuna zu überleben. Als sie auf der Strasse auf ihren verschwundenen Bruder Adan trifft, endet die Begegnung in einem blutigen Konflikt. Adan hat sie verraten und sticht sie nieder. Im Sterben liegend konfrontiert sie ihn mit seinen Taten und bittet ihn, sich um Yuna zu kümmern, bevor sie stirbt.

Ich stand auf und wischte das blutige Messer an meiner Hose ab. Es hinterliess eine rote Spur. Dann verstaute ich es in einer der Taschen meiner Arbeiterhose. Ich blickte gen Himmel, weisse Flocken segelten langsam auf den Boden. Es schneite.

Früher hatte ich mich immer gefreut, sobald sich eine dicke flauschige weisse Schicht über die Welt senkte. Gemeinsam mit Adan und den anderen Kindern hatten wir Schneeballschlachten veranstaltet und Tunnel gegraben. Adan. Der Gedanke an ihn schmerzte. Er war mein Held gewesen, mein Bruder. Bis er volljährig und unabhängig wurde. Er liess mich im Stich. Liess uns im Stich.

Ich hatte mir geschworen, nicht den selben Fehler wie er zu machen. Und als auch ich volljährig geworden war, hatte ich Yuna nicht alleingelassen, sondern sie mitgenommen, wie wir es uns als Kinder versprochen hatten. Als wir nur einander hatten, weil niemand uns wollte. Wir waren zwar keine richtigen Geschwister, trotzdem waren wir alle zusammen immer weitergereicht worden. Es hatte immer nur uns drei gegeben. Adan, Yuna und mich.

Nun gab es nur noch Yuna und mich.

Ich hatte auf keinen Fall bei der Pflegefamilie bleiben wollen, die uns nur bei sich aufnahm, weil es ihnen zusätzliches Geld für unnötigen Luxus einbrachte. Yuna hatte ich auch nicht allein dort zurücklassen können, also hatte ich sie kurzerhand mitgenommen.

Ich begann zu frieren und riss mich aus meiner Starre. Es war gefährlich, geistig abwesend zu sein. Unaufmerksamkeit konnte einen in dieser Welt das Leben kosten. Niemand wusste, wer im Schatten lauerte und nur auf sein nächstes Opfer wartete. Ich blickte mich um und stapfte dann mit der nächsten Menschenmenge durch den Matsch, der wohl Schnee sein sollte. Die kleine Wohnung, die ich mit meinem Einkommen finanzieren konnte, lag nicht weit von hier. Die Wohung war akzeptabel, nur konnten wir uns keine Heizung leisten. Der Winter würde hart werden, egal wie viele Aufträge ich erledigen konnte. Egal wie viele Menschenleben ich für mein mickriges Einkommen beenden musste, es war genug, dass Yuna und ich überlebten. Mein Ziel war nicht mehr, glücklich zu werden. Ich wollte einzig allein die Nacht überstehen.

Es war nicht einfach, als unausgebildetes ehemaliges Pflegekind eine Arbeit zu bekommen, schon gar keine gut bezahlte. Ich hatte Glück gehabt mit dem Job als Auftragsmörderin.

Obwohl ich versuchte, leise zu sein, gab der sulzige Schnee mit jedem Geräusch ein schmatziges Geräusch von sich.

Meine Schuhe gaben schmatzartige Geräusche von sich, als ich die Strasse überquerte. Die Gasse wurde schmaler und dunkler, der Lärm der befahrenen Strasse wurde mit jedem Schritt leiser. In dieser Grossstadt mit vierzig Millionen Menschen ging es Leuten wie mir nur ums nackte Überleben. Ich blickte einen Moment zu Boden und bog in die nächste Gasse ein. Schon war ich alleine. Um diese Uhrzeit bewegte sich kein Mensch in dieser Strasse umher. Die vielen Leute, die hier wohnten, hatten alle Besseres zu tun, als hier durch die Gegend zu spazieren und die Menschen, die nicht hier wohnten, kamen gar nicht hierher. Automatisch lief ich die Gasse entlang. Plötzlich bog jemand von links ein und knallte voll gegen mich. Ich spannte mich an, bereit, mein Leben und alles zu verteidigen, was ich liebte. Dann blickte ich hoch und starrte in einblaue Augen. Helle, warme Sprenkel waren darin zu sehen. Vor Schreck machte ich einen Satz zurück. Adan. Er war hier. In dieser Stadt lebten vierzig Millionen Menschen und ich begegnete ausgerechnet heute ihm. Wieso war er hier? Wieso jetzt?

Er blickte sich über die Schultern und bewegte sich dann schnell auf mich zu. Für einen Moment dachte ich, er würde mich umarmen. Doch dann blitzte etwas in seiner Hand auf. Ein unbeschreiblicher Schmerz explodierte in meiner Magengegend. Dieser verdammte Verräter hatte mir sein Messer in den Bauch gestossen. Adan, mein Held. Ich lachte bitter, würgte und spuckte einen hässlichen Blutklumpen in den Matsch. Einen Moment geistige Abwesenheit konnte einem in dieser Welt das Leben kosten. Ich sah fassungslos auf. „Wieso? Wieso jetzt?“

Adan schluckte und räusperte sich. „Ich musste es tun. Wieso bringst du unschuldige Menschen um?“

Ich keuchte. „Wenn das alles ist, was du zu sagen hast, kannst du jetzt gehen. Ich brauche dich nicht.“

Er hatte wenigstens den Anstand, betreten wegzusehen. „Ich wollte euch nicht verlassen.“

Mein Lachen klang falsch und abgehackt. „Wieso hast du es denn getan?“

„Ich hatte keine Wahl.“ Er sah mich immer noch nicht an.

„Wieso bringst du unschuldige Menschen um?“

„Ich habe keine Wahl“, wiederholte ich seine Worte.

Sein Kiefermuskel zuckte, wie er es schon früher getan hatte.

Ich krümmte mich, als die Schmerzen unmöglich wurden. Das Blut lief an mir herunter, durch meine Finger, die verzweifelt versuchten, es aufzuhalten.

„Was hast du die letzten Jahre gemacht?“, presste ich hervor. Was war so wichtig, dass er dafür Yuna und mich im Stich lassen musste? Ich musste es wissen.

Er schwieg so lange, dass ich schon dachte, er würde mir gar nicht mehr antworten. „Ich war eine Zeit lang weg. Hab für mich gesorgt. Versucht, mich damit abzufinden, wer ich bin … und so.“ Adan sah zu Boden. „Hat ja hervorragend geklappt“, meinte ich spöttisch und versuchte den Schmerz zu ignorieren. Endlich sah er auf. „Ich bin nicht derjenige, der unschuldige Menschen für einen mickrigen Lohn umbringt.“

„Ach nein?“ Was tat er denn gerade?

„Du bist nicht unschuldig, verdammt noch mal! Sonst hätte ich das hier ja gar nicht abziehen müssen!“

Mir wurde übel und ich schloss die Augen. Adan atmete laut und unregelmässig. Nach einer Weile hörte ich ihn leise sagen: „Tut mir leid, dass ich euch im Stich gelassen habe. Das war falsch von mir.“

Ich öffnete die Augen wieder, das Blut lief heiss und nass an meinem Körper hinunter. Mein Kopf schmerzte und ich schloss meine Augen wieder, das Licht war zu grell. Ich musste würgen.

Nicht jeder überstand die Nacht.

„Versprich mir, dass du für Yuna sorgst“, presste ich hervor.

„Sicher“, seine Stimme brach.

„Versprich es mir.“

Er klang heiser und ernst. „Ich verspreche es dir, Isobel.“

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