20:14
«Ja, ich weiss, dass du das magst, ich weiss das doch”, nein, ich redete nicht mit meinem Hund oder meiner Katze, ich redete mit meiner Queen. Also nicht mit meiner eigenen Königin, auch wenn sie das manchmal ist, ich spreche von meiner Ratte. In diesem Moment ass sie übrigens gerade Vollkorn-Müsli, ihr absolutes Lieblingsessen. Ich weiss diese Ratte ist ein bisschen seltsam, doch was soll man erwarten, wenn man seine Ratte Queen nennt. Nachdem sie einen ganzen Pack leer gegessen hatte, nahm ich ihr vorsichtig die Schüssel weg, ich wusste zwar, dass sie mich niemals beissen würde, doch beim Essen sollte man sie nicht stören. Ich stellte die Schüssel gerade in die Küche, als das Telefon klingelte, anstatt Dring, Dring zu machen, war es eher ein brumm, brumm. Da schon länger nur noch der Vibrationsmotor funktionierte, hörte man dieses verflixte Ding meistens erst, wenn es vom Tisch herunterfiel. Schnell ging ich dran, bevor es wieder so weit war: “Hier ist Lie Shao, wer ist da?» Stille, dann ein Seufzer: “Ich werde dir meinen Namen nicht sagen, wichtig ist jetzt nur, dass du nicht in Panik gerätst.” “Sind sie einer dieser Verkäufer von Yoga-Stunden? Ich muss sie leider enttäuschen, meinem inneren Gleichgewicht geht es super.» “Hör mir mal genau zu, in drei Minuten wird eine Gruppe ziemlich böser Menschen in dein Haus einbrechen. Wenn du nicht verletzt werden willst, würde ich jetzt schnell die Wohnung verlassen.» Ich wusste nicht, woran es lag, aber dieser Typ hatte so eindringlich gesprochen, dass ich gerade dran war, zu machen, was er wollte. Schnell packte ich meine Sachen, viele waren es ja nicht, schnell noch Queen in den Käfig und los ging’s. In der Eile vergass ich sogar noch, die Haustür abzuschliessen, was Stress nicht alles mit einem macht, ich sags euch.
20:19
Durch eine Lücke zweier Mülltonnen sah ich auf die Tür zu unserem Haus. Versteht mich nicht falsch, uns gehörte kein Haus, dafür hatten wir viel zu wenig Geld, aber unsere kleine Wohnung lag in einem Mehrfamilienhaus, diese Tür meine ich. Nach exakt zwei Minuten fuhr ein Auto vor, danach noch eins. Ich zählte insgesamt 8 Personen, 4 pro Auto. Leise unterhielten sie sich, während sie auf das Haus zugingen. Ein ersticktes Keuchen entwich meiner Kehle, nachdem ich sah, dass eine der Personen Pistolen dabei hatte. Genau diese Person, eine blonde Frau, drehte sich zu mir um, sie schien mich zu sehen, denn nach wenigen Sekunden stand sie auch schon da. “Ich glaube, wir brauchen gar nicht in das Haus. Ich habe unsere Person schon gefunden.» Mit der einen Hand zerrte sie mich hoch, mit der anderen zielte sie auf mein Gesicht – kein befriedigendes Gefühl, glaubt mir. Die anderen sieben Personen hatten sich derweil übrigens auch umgedreht, jetzt sah ich auch ihre Gesichter, irgendwie nicht so freundlich. Die blonde Frau verstärkte ihren Griff und zerrte mich ins Auto. Die Fenster waren alle verdunkelt, wodurch ich nicht sah, wohin wir fuhren.
Dreissig, vielleicht auch fünfunddreissig Minuten ging die Fahrt, die Ahnungslosigkeit machte mich fast wahnsinnig. Als alle ausstiegen stand ich schon fast von alleine auf, so hatte ich mich mittlerweile an den Druck der blonden Frau gewöhnt. In der Halle war es dunkel und erstaunlich still, das hiess wir waren schonmal nicht in der Stadt, schlecht um abzuhauen. Die Frau zerrte mich weiter, an ein paar Zellen vorbei, bis wir am Ende des Ganges angekommen waren. Hier stand noch genau eine Zellentür offen, wie konnte es auch anders sein. Die Frau warf die Tür hinter mir zu, mit einem Lächeln verriegelte sie das Schloss und ging davon. Hätte ich nur auf den Mann am Telefon gehört, dann wäre ich jetzt nicht hier, sondern vielleicht gerade in einem Café oder so.
Kurz zu meiner Zelle: Drei auf drei Meter würde ich schätzen, kein Bett, ein Waschbecken und vier Wände. Das Waschbecken funktionierte übrigens nicht, das heisst, es war eigentlich nur noch ein Becken. Hier verging die Zeit noch langsamer als im Auto, schliesslich war hier noch weniger los, zumindest bis ich leise Schritte im Gang hörte. Die Blondine war es auf jeden Fall nicht, ihre Schritte glichen eher denen eines Bären. Durch das kleine Fenster in der Zellentür sah ich nur eine Kapuze: “Wie ich sehe, hast du dich nicht an meine Anweisung gehalten.” Die Stimme kam mir bekannt vor. “Dann muss ich dich jetzt wohl hier raus holen.» Jetzt, der Mann vom Telefon, er war es, der vor mir stand.
Langsam öffnete sich die Tür. Jetzt erkannte ich, dass sein ganzer Körper in einem Umhang steckte, man sah kein Fleckchen seiner Haut. Er streckte seine dünne Hand zu mir aus. Ich blieb wie angewurzelt stehen. “Dann eben nicht.” Der Mann drehte sich um und ging davon. Nach drei Sekunden realisierte mein Gehirn, oder was auch immer in meinem Kopf war, dass der Mann mir gerade geholfen hatte und so folgte ich ihm. Der Mann kannte sich anscheinend sehr gut aus, wir begegneten keiner einzigen Wache. “Wie heisst du eigentlich?”, es interessierte mich langsam, wer mich eigentlich gerettet hatte.“ “Xen Shao, ich bevorzuge allerdings X, mit X denkt man an kein Gesicht oder Körper. “Witzig, wir haben den gleichen Nachnamen.” “Ja, ausgesprochen witzig.” Wir verliessen das Gebäude durch die Hintertür, auch hier standen keine Wachen. Ein schwarzer Ford Mustang parkte an der nächsten Ecke. Er sah ein bisschen ramponiert aus, doch als X auf den Autoschlüssel drückte, sprang der Motor brummend an. Er stieg auf der rechten Seite des Autos ein, komisch, doch als ich ebenfalls einstieg, bemerkte ich, dass es ein englisches Auto war, rechte Seite Lenkrad, ihr versteht.
09:54
Am nächsten Tag wachte ich in meinem Bett auf, meine Mutter sass auf der Bettkante: “Du hast aber lange geschlafen, es ist schon fast zehn, was hast du denn gestern gemacht? “Keine Ahnung, eigentlich nichts”, entsprach natürlich nicht der Wahrheit, aber ich konnte kaum sagen, dass ich entführt worden war. “Wie hiess eigentlich nochmal mein Vater?” “Das du das immer vergisst, Xen Shao.”