"Was ich dir nie gesagt habe" – eine Geschichte von Tabea Jacques - Young Circle

«Was ich dir nie gesagt habe» – eine Geschichte von Tabea Jacques

Member Stories 2022

«Was ich dir nie gesagt habe» – eine Geschichte von Tabea Jacques

Ich stehe von der Schaukel auf, sie bleibt sitzen. «Es war schön wiedermal mit dir zu reden», sagt sie. Ich nicke. Es fängt wieder an zu tröpfeln. Ich gehe ein paar Schritte, bleibe dann stehen und schaue sie an. «Ja. Also, bis….irgendwann einmal. Schätze ich». Ich habe ein Kloss im Hals. Sie nickt.

Wir sitzen auf dem alten Spielplatz. Wir sitzen auf den Schaukeln, unsere Hände umklammern die kalten Ketten aus Metall. Wie immer haben wir diesen Platz ausgewählt. Es war wie in den früheren Zeiten, als wir jünger, kleiner, unschuldiger waren. Wir hatten es nicht abgesprochen und dennoch waren wir beide automatisch darauf zugegangen. Nun, ein paar Jahre älter, komme ich mir vor wie ein Riese, der in ein Zwergenland eingedrungen ist. Seltsam, dass nun andere Kinder hier spielen, andere Kinder mit anderen Freunden, die selbst eigene Geschichten bilden, Geschichten mit anderen Hauptdarstellern.

Ich stemme meine Füsse in den Boden und lehne mich zurück. Ich beobachte meine Freundin aus dem Augenwinkel. Was sie wohl denkt in diesem Moment? Ich kann es nicht an ihrem Gesicht ablesen. Früher wusste ich es immer, heute ist ihr Gesicht voller Rätsel.

«Also…was läuft so bei dir, hm?», fragt sie jetzt und wirft mir einen kurzen Blick zu, ein kleines Lächeln im Gesicht.

Ich wende mich ab und blicke geradeaus auf den Sandkasten, der vor uns liegt. Die Plane war darüber gezogen und darin hatten sich kleine dreckige Pfützen gebildet, vom letzten Regen.

Ich stosse die Luft zwischen den Zähnen aus. «Schule halt. Viel zu tun. Viele Prüfungen. Der übliche Mist.» Sie nickt kurz. «Und bei dir so?», frage ich nach einigen Sekunden der Stille. «Anstrengend?»

Sie nickt wieder. « Joah. So wie immer eigentlich.»

Ich frage mich, seit wann unsere Gespräche so förmlich und steif geworden sind. Mein Gott, wir redeten schon wie Erwachsene. Waren wir das denn jetzt?

Ich lehne den Kopf zurück und blicke in den grauen Himmel hinauf. Graue Wolken ziehen vorbei wie träge Elefanten. Es wird bald wieder regnen.

Ich denke an unsere Gespräche früher. So weit her scheint es mir schon, als wir zusammen in ihrem Garten auf der Wiese lagen, auf dem Rücken im Gras während langsam Ameisen über unsere Hände krabbelten. Dort redeten wir über alles: über Jungs, über wer zu wem passte aus unserer Klasse, über unsere Pläne in den Ferien, über die Zukunft, über Musik, die wir hörten, über Filme, die wir geschaut haben, über wen wir toll fanden und wen superdoof. Über unsere Eltern, wie sehr sie uns nervten. Irgendwie war es in meinen Erinnerungen immer Sommer.

Bei diesen Gedanken muss ich lächeln. Meine Freundin dreht sich auf der Schaukel zu mir, sodass die Metallketten sich ineinander verschlingen. «Was ist?», fragt sie.

Ich schüttle den Kopf. «Nichts. Hab grad nur an was Schönes gedacht.»

«Ah», macht sie nur. Eine Weile wippt sie noch ein wenig hin und her. Plötzlich sagt sie: « Weiss du noch, wie wir die Strasse rauf und runter gefahren sind, mit unseren Rädern?»

«Ja klar», sage ich. «Wir haben immer Strassenschilder auf den Boden gemalt.»

«Ja…», erwidert sie, anscheinend ganz in Erinnerung versunken. Dabei blickt sie auf die Strasse, nur ein paar Meter weit entfernt von unserem Sitzplatz.

«Das werden wir wohl nie mehr machen.», sagt sie auf einmal. «So zusammen auf der Strasse spielen.»

Zuerst will ich ihr widersprechen. Sagen, dass wir doch sicher noch zusammenspielen können. Das wir nur unsere Räder holen müssen. Dass die Zeit doch nichts geändert hat. Doch ich sage nichts. Das ist lächerlich. Sie hat recht. Wir werden wohl nicht mehr auf der Strasse spielen. Wir sind zu alt dafür. Irgendwie macht mich das plötzlich traurig.

Ich lache unsicher. «Ja, so ist das nun mal», versuche ich unbeschwert zu wirken.

«Was macht ihr so in den Ferien?» Lieber das Thema wechseln.

Sie streicht sich die Haare zurück und fingert mit den Fingern in den Metallschlaufen der Kette. Mein Blick fällt auf ihr Ohrläppchen. Sie trägt keine Ringe mehr. Das Loch ist zugewachsen. Wir hatten es uns zur gleichen Zeit stechen lassen. Wir hatten sogar den gleichen Stecker ausgesucht. Es ist egal, sage ich mir. Nur ein Loch. Doch irgendwie symbolisiert dies etwas, was ich noch nicht genau in Worte fassen kann.

«Ach, ich bin noch mit Freunden unterwegs, die ich von der Schule kenne. Wir haben eine Reise zusammen organisiert, es ist echt toll.», sagt sie und ich kann sehen, dass sie sich freut.

Ich frage mich, wie lange sie die anderen schon kennt. Wohl kaum so lange wie mich. Kann eine so kurze Zeit Jahre der Freundschaft einfach so aufheben? Das kann doch nicht sein.

Doch sitze ich hier, neben meiner Freundin und fort ist all die Vertraulichkeit, nichts ist mehr übrig von der Verbundenheit von früher; wir sind Fremde geworden mit eigenen Leben und was wir teilen, ist nichts mehr als Erinnerungen.

«Weisst du was?», sagte ich auf einmal.

Sie blickt mich an, fragend. «Was denn?»

Wenn ich mutig wäre, würde ich ihr nun erzählen wie viel sie mir bedeutet. Wenn ich mutig wäre, würde ich ihr sagen, dass ich nicht will, dass unsere Freundschaft verschwindet und was für einen grossen Teil sie in meinem Leben ausgemacht hat. Dass ich die Zeit mit ihr nie vergessen werde. Wenn ich den Mut hätte, würde ich sie jetzt an der Schulter fassen und fragen wie es nur so weit hatte kommen können, weshalb ein so starkes Feuer nur zu so einem kalten Regentag werden konnte. Hatte denn alles keine Bedeutung gehabt? Sind wir nur dazu geschaffen uns für einen kleinen Teil des Lebens Gesellschaft zu leisten, damit sich dann unsere Wege für immer trennen?

Doch ich bin nicht mutig.

«Ich muss jetzt nach Hause», sage ich, ohne sie anzublicken.

«Okay», sagt sie nach einer Weile. Ich höre Erleichterung aus ihrer Stimme.

Ich stehe von der Schaukel auf, sie bleibt sitzen. «Es war schön wiedermal mit dir zu reden», sagt sie. Ich nicke. Es fängt wieder an zu tröpfeln. Ich gehe ein paar Schritte, bleibe dann stehen und schaue sie an. «Ja. Also, bis….irgendwann einmal. Schätze ich». Ich habe ein Kloss im Hals. Sie nickt.

Als ich am Rand des Spielplatzes stehe, blicke ich noch einmal zurück. Sie sitzt immer noch da, meine Freundin. Eine Träne läuft mir über die Wange, wie ein Regentropfen.

Dann drehe ich mich um und gehe.

Bewertung