"Van Gogh" – Eine Geschichte von Celine Alessia - Young Circle

«Van Gogh» – Eine Geschichte von Celine Alessia

Member Stories 2024

«Van Gogh» – Eine Geschichte von Celine Alessia

Eine junge Frau kämpft mit widersprüchlichen Gefühlen zu einem Mitschüler, der sie durch blosse Blicke fasziniert, obwohl sie sich nie richtig begegnet sind. Getrieben von Neugier und Schicksalsglauben, fragt sie sich, ob es besser ist, die Magie der unerwiderten Verbindung aufrechtzuerhalten oder die Realität zu akzeptieren.

Die Schwäche meiner Persöndlichkeit war, dass ich meine Aussagen im Nachhinein immer meinen Glaubensansätzen anpassen möchte. Okay, das mag wohl ein wenig abartig klingen. Es war eigentlich ganz einfach zu erklären. Ich glaubte fest und stark an Schicksale, denn aus irgendeinem Grund mussten die Dinge um mich herum ja passieren. Das Ding war nur, dass ich mir sicher war, unser Schicksal würde uns irgendwo anders hinführen. Und weil mir der Schicksalsweg nicht gepasst hatte, hatte ich nicht aufgegeben, in der Hoffnung das Schicksal würde sich noch spontan umentscheiden. Mich nicht aufgelesen, gesehen oder was auch immer lassen. Denn das war es in Wahrheit, was mich fast durchdrehen liess. Hast du meine letzte Nachricht bekommen? Hast du dich bewusst dazu entschlossen, nicht zurückzuschreiben? Keine Angst, du bist mir nichts schuldig, denn ich bin die Verrückte von uns beiden.

Ich dachte oft darüber nach, wenn wir uns das erste Mal gesehen hatten. Im Bus, du fuhrst rückwärts sitzend auf einem Sitz und ich stand beim seitlichen Stehplatz. Der Bus fuhr mit einem starken Ruck los und liess mich aus Versehen auf die Schnalle deines Rucksacks treten. Das war der Moment, in dem sich die Welt zum stillstand entschied. Und ich wusste, wie unrealistisch sich das auch anhören musste, aber ich könnte schwören, sie blieb stehen, als ich deinen Blick auf mir spürte. Würdest du meine Augen ebenfalls in einer grösseren Menschenmenge wiedererkennen? Denn für mich brauchte es nur einen Augenkontakt! Und jedes Mal aufs Neue, fragte ich mich wieder, wieso ich so war? Wieso dachte ich 24/7 an dich, wenn du vielleicht knapp meinen Namen kanntest? Es waren nur ein paar Augenkontakte und trotzdem hatte sich etwas in mir verankert. Wir hatten noch nie geredet, aber deine Augen und dein Lächeln sprachen meiner Meinung nach für sich. Was immer wieder lustig war, da sich mein Kopf dieses ‘Sprechen’ ständig ausdachte! Da gab es keine Worte zwischen den Zeilen, sondern nur ausgedachte Fantasien in meinem Kopf. Oder etwa nicht?

An einem Wintertag zog ich meine beste Freundin auf den Balkon unserer Schule. Dieser war in weissem Schneegestöber eingehüllt gewesen und wir konnten nicht anders, als unseren eigenen Olaf in die Welt zu schicken. Er hatte einen Hut, Stöcke als Arme und ein grosses Herz vor seiner untersten Kugel bekommen, damit man nicht sah, wie unförmig er war. Als ich unser Kunstwerk lachend bedacht hatte, nahm ich dich am Fenster wahr. Du hattest uns beobachtet beim Schneemann bauen, und mein Kopf sagte mir, du standest am Fenster und hattest gelächelt, weil du mein Lächeln genau so gerne sahst wie ich deins. Ein Monat später hatte ich eine komplette Kriese und sass auf dem kühlen Schulflurboden, schräg vor meinem Schulzimmer. Rechts neben mir die Türe zu den Jungs WC’s und auf der linken Seite die WC’s der Mädchen. Mein Kopf sagte mir, dass du aus Sorge vor dem WC stehen geblieben warst und besorgt zu mir geschaut hattest, um zu sehen, ob es der überforderten Version von mir gut ginge. Aber das war nur ein hinterhältiger Trick! Denn in Wahrheit empfand ich nicht wirklich Liebe, sondern nur eine gewisse Neugier, welche mit dir und deiner Persöndlichkeit zusammenhing. Wenn ich dich ansah, erinnertest du mich an Van Gogh! Nicht nur wegen deinem abgeklebten Ohr, welches noch mehr Neugier auf dich lenkte. Sondern manchmal kamst du mir vor, wie ein Gemälde, dass mit kleinen Strichen zu einem Ganzen führte. Verträumt und intepretierfreudig und manchmal ein wenig zu perfekt. ‘Starry Night’ war beispielsweise eines der bekanntesten Bilder in unserem Universum. Feine Striche in Farben, die für die damalige Zeit untypisch waren, zeichneten das Bild aus. Wenn man zu lange auf den blau, gelben Himmel starrte, hatte man beinahe das Gefühl er würde sich bewegen. Das hatte ich bei dir auch! Der Hintergrund verlief, sobald du auftauchtest. Nur du stachst scharf aus allem heraus, wie das schwarze Gebäude welches Van Gogh fein säuberlich vor seinen Nachthimmel gesetzt hatte.

Ich wollte mich nie wirklich auf meine Gefühle einlassen, weil ich wusste, dass unsere Zeit begrenzt war. So Begrenzt, dass es nicht zu einem «uns» führen würde. Ich glaubte, ich hatte mich ein wenig zu fest hineingesteigert, es nicht zu wollen. Als hätte ich genug Ausdauer gezeigt, schickte mir das Schicksal dann deine Nummer. Verzweifelt hatte ich mit meinen Freundinnen den Plan ausgeheckt, wie ich dir am letzten Schultag schreiben sollte. Wieso es mir plötzlich so wichtig war, dir irgendwas mitzuteilen? Keine verschissene Ahnung! In der letzten Informatikstunde hattest du dem Lehrer gesagt, er hätte dein Jahr ein Stückchen besser gemacht. Ich dachte, ich wollte dir nur sagen, dass du das Gleiche für mich gemacht hattest. Jetzt warst du weg und hattest dich noch nicht einmal umgedreht beim Gehen. Ehrlich gesagt, war ich sogar ein wenig froh, dass es vorbei war, bevor es begonnen hatte. Diese verdammten Augenkontakte gingen mir so abartig auf den Sack. Ich meine wie verkorkst musste etwas sein, wenn man ein stilles Versteckspiel spielte? Sich ständig suchte, um sich zu sehen, aber nicht miteinander sprach. Schlussendlich war ich nicht hier, um gesehen zu werden, sondern um mein Leben in den Griff zu bekommen.

Alles in allem hatte das Schicksal eben doch gesprochen und mich bewusst auf gelesen, gesehen oder was auch immer gelassen. Manchmal war die Neugier nämlich besser als die Gewissheit, damit die Magie über ein schönes Gemälde nicht verblaste. Denn oftmals versteckte sich hinter dem ersten Augenkontakt mehr als man zu sehen vermochte…

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