Elea besitzt das «Amulett der Magie» und es ist ihre Aufgabe, dieses mit ihrem Leben zu schützen. Als sie vor zwei Jahren die Verantwortung dafür übernommen hatte, um ihre Familie von dieser Bürde zu befreien, war ihr die Tragweite dieses Entscheids nicht bewusst: Ein Leben in steter Alarmbereitschaft, tägliches Selbstverteidigungstraining sowie ständiges Feilen an ihrer Reaktionsgeschwindigkeit. All dies, um zu vermeiden, dass das Amulett in falsche Hände geriet. Denn Magie-Missbrauch konnte verheerende Folgen haben. Trotzdem glühte in Eleas Innerem einen Funken Stolz, für diese entscheidende Aufgabe auserkoren zu sein.
Heute war einer jener Tage, an welchem sie sich besonders motiviert aus dem Bett schwang, weil Schwerttraining bei Rina angesagt war. Sie mochte diese ältere Dame, die ein Herz aus Gold trug und mit Schwertern umzugehen wusste, wie niemand anderes.
Leise vor sich hin pfeifend, schritt Elea den Waldweg entlang. Das Laub raschelte bei jedem Schritt unter ihren Stiefeln und sie atmete die kühle Herbstluft ein. «Ein traumhafter Herbstmorgen», dachte sich Elea mit einem strahlenden Lachen im Gesicht. Der Herbst war schon immer ihre Lieblingsjahreszeit. Sie liebte die kupfernen Farbtöne und konnte stundenlang zusehen, wie rote und goldene Blätter im Wind segelten.
Ruckartig drehte sich Elea um ihre eigene Achse, als sie eine flüchtige Berührung an ihrem Arm verspürte. Blitzschnell griff ihr eine dunkle Gestalt an den Hals, aber für Elea zahlte sich das jahrelange Training aus: All ihre Sinne waren sofort in Alarmbereitschaft und ihre Reflexe funktionierten einwandfrei. Sie kickte dem Mann gegen das Schienbein, worauf er die Kette mit dem Amulett, nach der er gegriffen hatte, loslassen musste. Ausfallschritt zurück, Gegner möglichst auf Abstand, nach vorn springen, Kinnhaken und zack, das Überraschungsmanöver gelang. Mit vor Erstaunen geweiteten Augen ging ihr Gegner zu Boden.
«Was für einen Start in den Tag!», dachte sich Elea, als sie eine Stimme ihren Namen rufen hörte. Bereits im nächsten Moment kam ihr Freund Ash joggend auf sie zu und zog sie in eine feste Umarmung. Erst jetzt realisierte Elea, was wirklich gerade passiert war und ihre Schultern sanken erleichtert nach unten.
«Ich habe dich schreien gehört und mir Sorgen gemacht», erklärte Ash leicht ausser Atem und fügte mit stolzem Lächeln hinzu: «Wie ich sehe unnötigerweise. Du kannst dich bestens verteidigen.» Sie blieben noch eine Weile reglos und engumschlungen stehen, bevor Elea sich wieder aus seiner Umarmung löste. Ash beharrte darauf, Elea bis zu Rina zu begleiten. Und so setzten sie den Weg Hand in Hand fort.
Rinas Haus am Waldrand, welches bereits Generationen vor Rina erlebt hatte, was ihm folglich auch anzusehen war, lag nun in Sichtweite. Grund für die beiden, sich zu verabschieden. «Ich liebe dich», hauchte Elea. Ash küsste sie zärtlich auf die Stirn und strich ihr sanft durch ihre schönen kastanienbraunen Locken.
Von einer plötzlichen Bewegung wurde Elea mit solcher Wucht nach hinten gerissen, dass sie ihr Gleichgewicht verlor. Ein schockierter Ausdruck breitete sich auf ihrem Gesicht aus, während sie anfing zu röcheln. Kurz bevor sie zu Boden ging, liess die Kette nach, welche Ash ihr gewaltvoll entrissen hatte.
Ash beugte sich mit höhnischem Grinsen über sie: «Liebe dich auch, Süsse», raunte er und zückte ein unter seinem Herbstmantel verborgenes Schwert.
Wie gelähmt konnte Elea ihren Freund bloss entsetzt anstarren, als sie die Erkenntnis wie ein Schlag traf: Was wollte er mit dem Amulett? Sie hatte ihm blind vertraut. Wie konnte sie sich so in jemandem täuschen? Tränen sammelten sich in ihren Augen und eine einzelne kullerte ihr über die Wange.
Verzögert, durch den Schock, griff auch sie nach ihrem Schwert. Doch es war bereits zu spät, Ash platzierte sein Schwert vorsichtig auf ihrem Herz und stach langsam zu.
«Danke für das Amulett, meine Liebe.»
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