In meinem Leben geschah seit 16 Jahren nichts Spannendes. Das Einzige war die Geburt meiner Schwester Minna. Doch von einem Tag auf den anderen änderte sich alles. Denn dieser Tag, der 21 Juni 1913, fing ganz normal an. An diesem Morgen wusste ich noch nicht, dass sich mein Leben verändern würde. Jedoch nicht zum Guten …
Etwas kitzelte mich im Gesicht, es war ein angenehmes Gefühl. Ich schlug die Augen auf und blinzelte in die aufgehende Sonne. Ich zog mein Alltagskleid an, steckte meine Haare hoch und ging runter in die Küche.
«Guten Morgen Mutter», grüsste ich sie.
Das Frühstück war wie immer. Es gab Ei, Brot, Milch und Käse. Geredet wurde, wie üblich, nicht sehr viel. Mein Vater, Arthur Williams, brach die Stille: «Clara, du gehst heute die Ziegen melken. Minna, du erntest heute die Gurken».
Ich nickte nur. Der Alltag auf unserer kleinen Farm war oft eintönig.
Im Stall richtete ich alles her, um die Ziege Charlie melken zu können. Kaum hatte ich angefangen, hörte ich einen Schrei. Erschrocken rannte ich aus dem Stall und sah, wie meine Eltern von zwei Männern festgehalten wurden.
Meine Mutter schrie. Meine Schwester weinte, während ein dritter Mann sie festnahm.
Ich musste die Männer ablenken, damit sie sich befreien können! Ich ging in den Stall zurück. Öffnete die Stalltür und liess die Kühe los. Sie stürmten über die ganze Farm. Ich ging auf die andere Seite des Stalles. Die Männer waren abgelenkt, so dass sich mein Vater losreissen konnte. Er versuchte, zu mir zu kommen. «Clara, du musst rennen! Dich haben sie noch nicht gesehen! Verschwinde! Los!», rief mir mein Vater zu.
«Aber wohin …?», fragte ich.
Ich verstand nur noch NCP, bevor er wieder von hinten gepackt worden war.
«Los!», flehte mein Vater noch mal. Ich konnte nicht lange zögern, also rannte ich zurück zum Stall, um Armenis zu holen, unser einziges Pferd. Ich ritt los, so schnell es ging. Die Tränen liefen mir übers Gesicht, doch sie wurden mit dem Wind schnell wieder getrocknet. Ich wollte nicht nach hinten sehen, ich musste vorausschauen. Doch ich konnte nicht. Also blickte ich zurück und das letzte, was ich von meinem alten Leben sah, war unser Haus, das in Flammen stand. Es war schrecklich!
Ich ritt so schnell ich konnte, bis ich mich entschied anzuhalten.
NCP, das National Crime Projekt kannte ich. Mein Vater hat früher für sie gearbeitet. NCP war ein kriminelles Unternehmen. Mein Vater hielt es dort nicht lange aus, da er nicht illegal arbeiten wollte. Die Arbeit dort war sehr brutal. So auch der Chef, Herman Johnson. Wer bei ihm etwas falsch macht oder einer seiner fragwürdigen Taten in die Quere kam, musste bitter bezahlen. Und wie es scheint, war mein Vater so einer. Ich musste meine Familie retten, das stand fest!
Ich stieg wieder auf Armenis auf und wir ritten zwei Tage Richtung Süden. Irgendwann sah ich es, das Gelände des NCP. Ein grosses Backsteingebäude mit wenigen Fenstern. Aus dem Kamin kam schwarzer Rauch. Es gab vier weitere Gebäude, drei für die Mitarbeiter und eines für die «Gefangenen».
Ich wusste, dass dort meine Familie sein musste. Doch wie sollte ich dort reinkommen?
Der Haupteingang wurde von drei muskulösen Männern mit Pistolen bewacht. «Es muss doch noch irgendwo einen Nebeneingang geben», dachte ich.
Schnell fand ich eine kleine, rostige Gittertür mit einem neuen, grossen Schloss, gut versteckt hinter einem Busch.
Ich hatte eine Idee.
«Bitte, schlag jetzt so fest du kannst gegen das Tor», flüsterte ich Armenis ins Ohr.
Armenis holte aus und schlug mit aller Kraft zu. Es schepperte laut und das Tor stand offen. Ich versteckte Armenis hinter einem grossen Busch. Langsam öffnete ich die Tür. Sie quietschte laut, sodass ich kurz innehielt. Ich ging leise weiter. Manchmal sah ich Arbeiter oder Wächter, doch ich blieb ruhig. Endlich fand ich ein Schild mit der Aufschrift «Gefängnis». Es gab ein kleines Fenster, durch das ich einen Wächter am Schreibtisch sitzen sah. Die einzige Möglichkeit, an ihm vorbeizukommen, war es, ihn auszuschalten. Ich schaute mich nach einer geeigneten Waffe um. Ich fand in einem Haufen Schrott eine gusseiserne Pfanne. Ich nahm sie und ging zurück zur Tür. Ich atmete tief ein und schlug dann schnell die Tür auf. Der Wachmann war sichtlich überrascht. Ich schlug fest mit der Pfanne in sein Gesicht, sodass er kurz schielte und dann zusammenbrach. Ich nahm ihm seine Schlüssel ab und ging den dunklen Gang entlang. Es war beängstigend, wie viele Menschen in den Zellen sassen. In einer Zelle war ein kleines Mädchen, das von ihrer Mutter umarmt wurde.
«Minna? Mutter?», fragte ich. Erschrocken schaute sie mich an.
«Clara … was!?», stotterte meine Mutter.
«Seid bitte leise. Ich hole euch da raus!», sagte ich. Sobald sie draussen waren, umarmten wir uns. Schnell fanden wir meinen Vater. «Clara! Hier ist Dad!», flüsterte Minna. Ich befreite ihn ebenfalls. Wir waren froh, dass wir nun alle wieder vereint waren.
«Folgt mir, und seid leise.», flüsterte ich ihnen zu.
Ich ging voraus, durch die rostige Tür und dann waren wir endlich draussen. Wir holten Armenis und liefen tief in den Wald hinein. Wir mussten einfach weg von dem Gelände. Lange schwiegen wir, doch ich musste nun wissen was geschehen war.
«Nun, ich habe einmal für NCP gearbeitet. Ich war sehr erfolgreich, so dass mir mein Chef ein grosses Projekt anvertraute. Ich sollte den US-amerikanischen Präsidenten ausspionieren. Die Absicht meines Vorgesetzten war, selbst Präsidenten zu werden. Doch irgendwann ging mir alles zu weit und ich wollte nicht mehr. Doch anscheinend wusste ich zu viel. Sie hatten Angst, dass ich die Wahrheit verbreiten würde.», klärte mich mein Vater auf.
Plötzlich umarmte meine Schwester mich und flüsterte mir ein «Danke» zu.
Doch wie gesagt, unser Leben war nicht mehr das Gleiche. Wir mussten das Land verlassen und ständig umziehen. Wir lebten die ganze Zeit in Angst. Fünf Jahre später wurde Herman Johnson endlich festgenommen wurde. Aber es wurde nie wieder wie früher. Wir wussten nicht, was der nächste Tag uns bringen würde…
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