"Tunnelblick" - Eine Geschichte von Tilia Hil - Young Circle

«Tunnelblick» – Eine Geschichte von Tilia Hil

Member Stories 2023

«Tunnelblick» – Eine Geschichte von Tilia Hil

Der Text beschreibt den intensiven Fokus und die Konzentration eines Schwimmers auf seinen Wettkampf im Schwimmbecken. Er beschreibt die Abläufe und Gedanken während des Rennens, einschließlich der Spannung und des Gefühls der Erschöpfung und Euphorie nach dem Anschlag. Der Schwimmer erreicht eine neue Bestzeit von 2 Minuten, 2 Sekunden und 59 Hundertstel.

Brille auf, Wettkampfmodus an. Ab jetzt nur noch einen Fokus: meine Bahn und ich.

Alles andere verschwimmt im Hintergrund. Ich ziehe meinen Parka aus. Ich klopfe meine Arme und Beine ab und warte aufs Kommando.

«Piep, piep, piep.»

«Pieeeep.»

Ich steige auf den Startblock. Letzter Check der Badekappe.

«Take your marks.»

Meine Muskeln spannen sich an.

«Piep.»

Wie eine losgelassene Sprungfeder stosse ich mich ab, springe vom Block und tauche ein.

Einen Augenblick lang herrscht Ruhe. Mit dem Schwung des Sprungs gleite ich voran. Zusätzlich kicke ich mit meinen Beinen, um meine Tauchphase möglichst lang zu ziehen. So wie ich es jahrelang trainiert habe.

Das Wasser ist türkis blau. Ein schönes Becken. Man fühlt sich schnell. Liegt wahrscheinlich am Bodenbelag, der die Lichter reflektiert.

Ich breche durch die Wasseroberfläche. Jetzt der erste Armzug nach rechts. Erst nach dem Dritten den ersten Atemzug. Meine Beine und Arme bewegen sich in einem nur mir vertrauten Rhythmus. Nach jedem fünften Armzug dreht sich mein Kopf automatisch, um kurz Luft zu holen.

Die ersten 50 Meter sind geschafft. Rollwende. Erneut ein Augenblick der Ruhe. Wieder der gewohnte Bewegungsablauf.

100 Meter geschafft. Rollwende. Erneut ein Augenblick der Ruhe. Wieder der gewohnte Bewegungsablauf.

Die Spannung lässt nicht nach. Vor allem im dritten Viertel muss meine Konzentration auf der Geschwindigkeit liegen.

150 Meter geschafft. Rollwende. Erneut ein Augenblick der Ruhe.

Ab jetzt keine Zurückhaltung mehr. Alles geben. Bis zum Anschlag.

Die letzten fünf Meter nicht mehr atmen. Meine Hand schlägt an der gelben Wand an.

Ich drehe mich um. Die Zeittafel verschwimmt einen Moment vor meinen Augen. Ich suche meine Zeit. 2 Minuten 2 Sekunden und 59 Hundertstel. Neue Bestzeit.

Mein Brustkorb hebt und senkt sich in einem schnellen, unregelmässigen Rhythmus. Wie meine Konkurrenten links und rechts von mir anschlagen, nehme ich nicht wahr.

Langsam verschwindet das Adrenalin aus meinem Körper und ein einzigartiger Gefühlscocktail breitet sich aus. Erschöpfung und Euphorie.

Dadurch tauche ich aus meinem Tunnelblick auf und ein in die Realität.

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