Das fünfte Geschenk. Schon wieder… Ich frage mich langsam, ob diese wirklich für mich bestimmt sind. Es ist eine Flasche mit lauter Sonnenblumenmuster. Ich lächle für mich aber bin immer noch verwirrt. Die Bibliothek ist beinahe leer, aber ich schaue mich trotzdem um. Das Mädchen mit einer knallroten Schleife im Haar, sitzt am anderen Ende des Tisches. Doch sie ist sehr in ihr Buch vertieft. Ich denke nicht, dass sie etwas mitbekommen hat. Ich habe sie schon oft hier gesehen, aber noch nie ein Wort mit ihr gewechselt. Weiterhinten entdecke ich eine Mütze. Neugierig nähere ich mich ein paar Schritte, aber es ist nur Felix, mein Cousin. Wir akzeptieren uns, aber Freunde sind wir in der Schule nicht. In der Freizeit sieht das ganz anders aus.
Ich will keine Zeit verlieren und nehme mein Lieblingsbuch, aus dem achten Bücherregal, in die Hände.
Zwei Stunden später schrecke ich auf. Ich war so vertieft in die Liebesgeschichte, dass ich die Zeit komplett vergessen habe. Schnell stehe ich auf und packe meine Sachen zusammen. Dabei fällt mir meinen Sonnenblumenanhänger aus der Tasche. Mein erstes Geschenk. Ich hätte ihn beinahe liegengelassen, aber als ich ihn genauer betrachtete, sah ich meinen Namen eingraviert. Dies deutete ich als ein Zeichen, dass er für mich bestimmt war.
Im Klassenzimmer angekommen, bin ich ausser Puste. Meine Mitschüler schauen mich abschätzend an. Ich entschuldige mich mit einem leisen murmeln und setze mich an meinen Platz in der ersten Reihe.
Mein Hals wird immer trockener und ich merke, wie ein Kratzen aufkommt. Ich schaue zum Wasserhahn und werde immer durstiger. Ich getraue mich nicht aufzustehen, weil in 10 Minuten sowieso die Pause beginnt. Mein Lehrer ist sehr streng und geduldet keine Störung.
Die Klingel läutet endlich und ich schnappe mir meine neue Flasche. Vor dem Hahn drehe sie auf und bemerke, dass sie nicht leer ist. Meine Hand nähert sich der Öffnung und ich stecke sie vorsichtig hinein. Ein Zettel kommt heraus und mein Herz klopf zugleich schneller. Mein trockener Hals ist vergessen und ich suche mir im Gang eine ruhige Ecke. Ich atme zwei Mal tief ein und aus. Ich öffne das mysteriöse Papier.
«Bist du neugierig zu erfahren, wer ich bin? Dann finde es heraus.»
Ich drehe das Blatt hin und her, aber kein weiterer Hinweis ist vorhanden. Ich weiss noch genau gleich viel wie vorher. Aber nun ist meine Neugier vollkommen geweckt und mein Detektivmodus ist eingeschaltet.
Am nächsten Tag nehme ich mir nach der Schule wieder Zeit, um in die Bibliothek zu gehen. Ich liebe die Atmosphäre, die Ruhe und der Geruch von Büchern. Ich komme mir wie in einer anderen Welt vor. Wie immer steure ich zu meinem Lieblingsbuch hin. Sofort nehme ich es in meine Hand und schlage die Seite 53 auf, wo ich gestern stecken geblieben war. Ein gelbes Post-it fällt mir sofort in die Augen. Nach genauerem Hinsehen lese ich «Hi, Sunflower!». Ich fühle mich sofort angesprochen. Ich bin mir sicher, dass es von ihm ist. Ich blättere sofort weiter, um nach mehr Hinweisen zu suchen. Es sind keine Worte mehr zu finden, nur gelbe Post-it Zetteln, wie das erste. Ich betrachte das zweite genauer. Was willst du mir sagen? Mir fällt die Zahl «1.80m» sofort auf. Weiter erblicke ich «hellbraun», «azurblau», «Bücherwurm», «Gitarre», «Fussball», «Picknick» und circa 10-Mal «Sonnenblume».
So viele Informationen lassen meinen Kopf brummen und ich muss dies zuerst einmal verarbeiten. Ich nehme mein Notizbuch und meinen Lieblingsstift, den ich auch von ihm erhalten habe und schreibe alle Wörter hinein. Ans Lesen ist nicht mehr zu denken und ich stelle das Buch zurück. Ich setze mich einen Moment und denke nach. Unter dem Tisch bemerke ich einen weiteren Zettel angebracht. Ich nehme ihn vorsichtig ab und lese: «Morgen, 16 Uhr». Meine Gedanken kreisen. Wo werden wir uns nur treffen? Das Wort Picknick sticht mir ins Auge und ich habe da eine Idee.
Ich nehme mein beiges Kleid mit Sonnenblumenmuster hervor und style dazu, Boots, einen schmalen Gürtel und meine Sonnenblumenohrenstecker. Ich lächle mich im Spiegel an und bin für das Abenteuer bereit. Als ich aus der Tür trete, kommt mir Felix entgegen. Er sieht mich misstrauisch von oben bis unten an: «Wo willst du denn so aufgebrezelt hin?»
«Ich habe ein Picknick und werde wegen dir noch zu spät kommen!», entgegnete ich aufgeregt, aber bestimmt. Er versucht mir den Weg zu versperren, aber sieht, dass es mir ernst ist. Ich düse an ihm vorbei und bin froh, dass es nur ein kurzer Weg zum berühmten Park ist.
Ich erblicke schon von weitem einen wunderschönen Sonnenblumenballon. Die Schnur führt mich zu einem Schattenplatz lauter Sonnenblumendetails. Ganz abgelenkt von den Köstlichkeiten und der Deko, merke ich nicht, dass sich jemand vom Baum her nähert.
«Hi, Sunflower!», eine tiefe Stimme lässt mich aufblicken. Mir entfährt ein Lachen. Das Erste, was mir auffällt ist seine Sonnenblumensonnenbrille. Mit einem selbstsicheren Lächeln nimmt er die Brille ab und seine wunderschönen azurblauen Augen kommen zum Vorschein. Alle einzelnen Wörter und Hinweise ergeben nun ein ganzes Bild.
«Piet?», es ist mein Schulkamerade. Ich schwärmte schon meine ganze Schulzeit für ihn, aber war sicher, dass er mich nicht einmal bemerken würde. Ich getraute mich nie ihn anzusprechen und jetzt sind wieder alle meine Worte verschwunden. Ich fasse mich wieder und kann meine Freude nicht länger verstecken.
Er blickt mir intensiv in die Augen und deutet mit dem Kopf zum Picknick. Wir setzen uns und geniessen einen grossartigen Abend zusammen. Wir sprechen viel, lachen zusammen und essen leckere Pizza, die er selbst gemacht hat. Ein Traum.
Als es beginnt zu dämmern, kommt er mir immer näher. Wir schauen uns tief in die Augen. «Mein Herz gehörte schon immer dir, meine Sunflower.» Er kommt langsam näher und unsere Lippen berühren sich.
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