Der Chor aus Stimmen, das Trommeln der Hufe und das rhythmische Klackern der Wagenräder auf Pflastersteinen schienen wie die Ouvertüre zu einem Drama, welches sich hier, mitten auf dem Marktplatz abspielen sollte.
Magdalena schritt langsam voran und sog dabei die wenigen Sonnenstrahlen, welche sich über die Dächer der Häuser zu schieben vermochten, in sich auf. Sie spürte die Anspannung der Einkaufenden und Marktstandbesitzer, der Kinder und Alten. Der Fluss an Menschen welcher an den meisten Tagen über das Pflaster floss, war ausgetrocknet. Die Menschen lagen da, wie die Fische im trockenen Flussbett, unfähig sich zu bewegen, die leeren Augen starr auf die kleine Tribüne in ihrer Mitte gerichtet, auf der sich das grosse Spektakel ereignen würde.
Ein Stoss liess Magdalena taumeln. «Weiter!», raunte ihr die barsche Männerstimme in ihrem Rücken zu und sie folgte. Im Gehen blickte sie an sich hinunter. Ihr langes, rot-goldenes Kleid, das schönste, welches sie besass, hing schmutzig und zerschlissen an ihr herab. Und doch hätte sich beinahe ein Lächeln auf ihr Gesicht gestohlen, als sie daran dachte, für wen sie dieses Kleid angezogen hatte.
Vor ihre inneren Augen schlichen sich die Bilder ihres gemeinsamen Abends. Magdalena, wie sie, vom fast vollen Mond beschienen, auf eine Gestalt zulief, beim Anblick derer ihr das Herz aus der Brust zu springen drohte. Die Gestalt, in ein langes Gewand gehüllt, hatte sich unter einer Weide – ihrer Weide – niedergelassen. Kaum bei ihr angekommen, wurde Magdalena in eine warme Umarmung gezogen. Eine von jenen Umarmungen, welche ihr das Leben zurückgaben, welches ihr Tag für Tag geraubt wurde.
Bemüht die Tränen zurückzuhalten, dachte sie an die funkelnd grünen Augen, welche sie in dieser Nacht voller Liebe angeblickt hatten. Sie gehörten einem Menschen, mit welchem sie, in ihren wenigen gemeinsamen Stunden, diese ihr verhasste Welt hatte verlassen können.
Sie hatten ihr gehört…
Nun brachen in Magdalena alle Dämme. Auch wenn sie sich vorgenommen hatte, nicht zu weinen, keine Schwäche vor ihren Unterdrückern zu zeigen, so war die Erinnerung an den Moment, in dem das Funkeln aus den grünen Augen gewichen war, doch zu schmerzhaft.
Langsam, wie in Trance, setzte sie ihren Marsch, getrieben von der Stimme in ihrem Rücken, fort. Einen Fuss vor den anderen; tap, tap, tap. Nun drei Stufen nach oben; eins, zwei, drei. Dann stand sie da. Hoch über den Köpfen der Menschen, einem Meer aus Verachtung.
«Alle diese Menschen wollen mich tot sehen…», sagte sie mehr zu sich selbst und erhielt als Antwort ein heiseres Lachen der barschen Männerstimme. All diese Menschen dachten, sie hätte ein Verbrechen begangen, dachten sie habe eine Bestrafung verdient. Doch war das nicht das Schlimmste. Ein Kloss bildete sich in Magdalenas Hals, als sie daran dachte, wie sie selbst vor nicht allzu langer Zeit derselben Meinung gewesen war. Da hatte sie nicht verstanden, was Liebe verändern kann. Nicht verstanden, dass es selbst in einer Welt wie ihrer möglich war, glücklich zu sein und dass selbst ihr dieses Glück vergönnt war – wenn auch nur für wenige Stunden.
Sie hatte es verstanden und war damit ihrer Zeit voraus. In dieser Welt, in dieser Zeit würde sie nicht glücklich werden, das wusste sie und so blickte sie, starr und ohne Furcht in die schwarzen Augen des Henkers und dachte an Sie – ihre grosse Liebe.