Meine Augen suchen forschend und hektisch nach einer Bewegung zwischen den Blättern, oder nach einer Form, die kein Blatt und kein Ast sein kann. Kann ich es wagen einen Schritt auf den Busch zuzugehen, ohne dass dieser grüne Blitz gleich weghuscht, bevor ich noch einen Blick darauf erhaschen kann? Ich hebe vorsichtig den rechten Fuss, bewege ihn langsam in Richtung Busch; da! Eine Bewegung, leises Rascheln, es lässt mich sofort innehalten. Ich warte… es bleibt ruhig. Langsam dringt das Gewicht meines rechten Fusses, der noch immer ein paar Zentimeter über dem Boden schwebt, in mein Bewusstsein und verdrängt für einen kurzen Augenblick meine Gedanken von dem flinken Wesen. «Heda! Los, alle Konzentration auf das Buschwerk!» meine Vernunft lenkt wieder meine ganze Aufmerksamkeit von meinem Fuss weg und auf die seltene Begebenheit vor meinen Augen. Ich wage es, den Fuss langsam und vorsichtig auf die, mit nassen, braunen Blättern übersäte Erde zu setzen. Leises Rascheln lässt mich laut und erschreckt einatmen und erstarren. Nein, das kam nicht aus dem Busch, die braunen Blätter auf dem Boden gaben das Geräusch von sich, als sie unter dem Gewicht meines rechten Fusses zusammengedrückt wurden. Im Busch ist immer noch alles ruhig, keine Bewegung ist wahrzunehmen. Gut, ich kann vielleicht noch einen Schritt wagen. Zuerst lasse ich aber meinen Blick nochmal forschend über die Blätter gleiten. Nichts. Also der zweite Schritt… Ich hebe meinen linken Fuss, halte auf halbem Wege in Richtung Busch inne und warte. Keine Bewegung im Busch. Den Fuss weiter nach vorne schwingen und langsam, ganz vorsichtig… gaaanz vooorsiccchhhtiiiiiig absetzen. Eilig huscht mein Blick über die grünen Blätter des Busches, hinter denen nun auch braune, dicke und dünne Zweige zu erkennen sind. Nichts Aussergewöhnliches zu sehen. Also nochmal genauer hinschauen, den suchenden Blick langsam durch das dunkle Grün schweifen lassen. Da! Von einem etwas dickeren Ast hängt das hellgrüne Ende eines langen Schwanzes herab. Ein Gefühl des Triumphes macht sich in mir breit. Ich lasse den Blick nach oben gleiten, wo sich meiner Vermutung nach, der restliche Körper der Echse oder Schlange befinden müsste. Da ist aber nichts zu sehen, die Blätter sind an der Stelle zu dicht. Also zurück zur Schwanzspitze. Sie genau betrachten. Auf der Oberfläche sind raue Schuppen zu erkennen, die in den wenigen Sonnenstrahlen, die sich durch die Blätter und Zweige des Busches zwängen, in allen Farben schimmern. Kleine, spitze Zacken heben sich auf der oberen Linie des Schwanzes ab. Also eindeutig eine Echse und keine Schlange. Meine Freude ist riesig, am liebsten würde ich in die Luft Springen (was ich nicht tue, denn dann würde ich das ruheschätzende Wesen natürlich verscheuchen). ich liebe Echsen, sie sind so faszinierend und geheimnisvoll. Wenn ich diese hier nur ganz sehen könnte… Soll ich noch einen Schritt wagen? Ich beuge meinen Oberkörper langsam nach vorne und zur Seite, vielleicht kann ich so einen besseren Blick auf die Echse erhaschen. Nein, das Blattwerk schiebt sich von hier aus in jeder Hinsicht zwischen meine Blicke und die Echse. Ich hebe wieder den rechten Fuss ein wenig. Jetzt noch vorsichtiger als zuvor, schwerstens versucht, das nun halb Erblickte durch Verscheuchen nicht wieder aus den Augen zu verlieren. […] Etwa eineinhalb Minuten später habe ich mich in eine Position gebracht, in der ich die Möglichkeit habe, vorsichtig hinter die Blätter zu spienzeln, die die Echse noch vor zu flüchtigen Blicken schützen. Ich beuge mich nach vorn, ganz langsam… da..a..a..a.. erkenne ich immer mehr von der recht grossen Echse. Zuerst nur bis zum Anfang des Schwanzes, dann den Rücken und das rechte Hinterbein, … der Rumpf, … die immer grösser werdenden Zacken am Rückgrat, … das rechte Vorderbein, … und schliesslich der Kopf mit den fächerförmigen Halskrausen. Ich erschrecke und erstarre. Der Kopf der Echse ist zu mir gedreht und das dunkle, aber im Ausdruck klare Auge blickt mich direkt an! Sogleich senke ich ergeben meinen Blick, hoffe, so der Echse zeigen zu können, dass ich nichts Böses will. Als sich nichts regt, wage ich vorsichtig meinen Blick zu heben. Ich bemühe mich, die Echse nicht direkt anzuschauen und dennoch wird mein Blick durch ihre schillernden Farben und den so selten zu erblickenden Körper unwiderstehlich angezogen. «Geniesse diesen Augenblick! oft wirst du nicht mehr die Gelegenheit haben, eine solche Schönheit, die sich doch so selten zeigt, so nah und in vollkommener Freiheit betrachten zu können.» ich werfe noch einen langen Blick auf die Echse, die mich immer noch mit durchdringendem Blick anschaut, senke den Kopf wider und bewege mich langsam und vorsichtig zurück, immer wieder verstohlene Blicke auf die Echse werfend. Ich möchte nicht, dass sie sich von mir bedroht fühlt und vor mir flieht, deshalb beschloss ich, selbst den Rückzug anzutreten, schliesslich ist das hier ihr zu Hause und ich bin bloss ein Gast. Als ich mich langsam und rückwärts ein paar Schritte von dem Busch entfernt habe, bleibe ich stehen, richte mich auf und lausche. Es bleibt ruhig, wie es scheint habe ich die Echse nicht dazu gebracht, schleunigst zu verschwinden. «Uff!» Eine weitere Welle des Triumphgefühls erfüllt mich. Doch diesmal ist auch viel Dankbarkeit dabei. Dankbarkeit der Echse gegenüber, die sich von mir so nah hat betrachten lassen. Von hier aus sehe ich sie nicht mehr, aber ich spüre immer noch, wie sie mich aus dem Busch heraus mit diesem durchdringenden Blick beobachtet. Ich bedanke mich in Gedanken bei ihr und bin überglücklich eine solche Seltenheit erlebt haben zu dürfen und dabei die Natur nicht gestört zu haben, sozusagen von ihr angenommen worden zu sein. So, mit diesen Gedanken, werde ich das zumindest im Kopf behalten. Ich drehe mich langsam um und gehe nach Hause.
«Seltene Begebenheiten» – eine Geschichte von Aurélie Claude
Member Stories 2020
2. November 2020
Schillernde Farben springen mir in die Augen, eine flinke Bewegung, das Zischeln einer langen Zunge; schon ist es im grünen Buschwerk verschwunden. Atemlos und erstarrt bleibe ich stehen.