"Stadt aus Weiss" – eine Geschichte von Paula Brunner - Young Circle

«Stadt aus Weiss» – eine Geschichte von Paula Brunner

Member Stories 2022

«Stadt aus Weiss» – eine Geschichte von Paula Brunner

Ich betrete eine andere Welt, als der Park zu den beschäftigen Straßen New Yorks wechselt. Der Heimweg dauert länger, als ich dachte. Vielleicht habe ich mich verlaufen. Das wäre nicht gut, ich kenne mich hier noch nicht gut aus und ich will spätestens am Abend zuhause sein. Es ist später Nachmittag und es wird schon dunkel…

«Nein John, ich werde meinen Entschluss nicht ändern, egal was du sagst.» «Komm schon Meli», probiert mich mein bester Freund über das Telefon zu überzeugen, dass ich einen Job annehmen soll, der anscheinend besser ist als mein aktueller. «Melanie, du bist 27 Jahre alt, bist neu in New York, arbeitest 50 km weit weg von deiner Wohnung und du verdienst nicht einmal gut. Du musst diesen Job annehmen!» «Aber ich mag meine Arbeit und ich will nicht in einem stickigen Büro sitzen und in einen Bildschirm starren», protestiere ich genervt weiter. Den Lärm, den ich damit verursache, wird vom lauten Hupen der Autos und den vielen Stimmen auf dem Gehweg verschluckt. «Wirst du auch nicht. Es wäre eine gute Gelegenheit dein Leben zu vereinfachen, und ich bin mir sicher, dass du deine neue Stelle auch mögen wirst.» Weil mir sein Gerede auf die Nerven geht, meine ich nur ich würde es mir nochmal überlegen. Mit einem knappen Danke verabschiedet er sich und legt auf. So viel Stress an meinem freien Nachmittag, ich wollte doch nur einen Kaffee holen.

Ich sitze auf einer Bank im Central Park und genieße meinen Starbucks Kaffee. Touristen tummeln herum und schießen Unmengen an Fotos. Kein Wunder, bei so schönem Wetter muss man einfach in den Park. Ich mochte diesen Ort von Beginn an, denn er erinnert mich noch ein klein wenig an mein altes Zuhause auf dem Land. Den See mag ich besonders gerne, denn die Sonnenstrahlen reflektieren sich so schön und mit den Enten, die darin planschen, sieht der Anblick aus wie aus einem Bilderbuch. So gern ich hier auch Zeit verbringe, muss ich leider wieder nach Hause. Seufzend stehe ich auf und laufe los.

Ich betrete eine andere Welt, als der Park zu den beschäftigen Straßen New Yorks wechselt.

Der Heimweg dauert länger, als ich dachte. Vielleicht habe ich mich verlaufen. Das wäre nicht gut, ich kenne mich hier noch nicht gut aus und ich will spätestens am Abend zuhause sein. Es ist später Nachmittag und es wird schon dunkel. Als ich hinauf schaue, bemerke ich, dass große graue Wolken daran sind, den Himmel zu bedecken. Nach kurzer Zeit verschwindet die Sonne hinter den Wolken und mit ihr das Licht. Schlagartig schlägt auch die Atmosphäre um. Sie ist nicht mehr so sorglos wie vor fünf Minuten, jetzt erinnert sie mich an Bedrücken und Depressionen. Nebel taucht auf und umhüllt die Spitzen der Hochhäuser. Ich beeile mich mit jedem Schritt, bei diesem Wetter will ich mich umso weniger lange draußen aufhalten. Die Nebelschwaden schlängeln sich langsam die Gebäude hinunter und kriechen aus den Gassen wie gierige Hände. Sie machen mir Angst. Es fühlt sich an, als ob sie nach mir greifen wollen, aber den richtigen Moment abwarten. Panik ergreift mich und ich beginne schneller zu laufen. Die Leute auf dem Gehweg beachten mich kein wenig, als ich mich an ihnen vorbeidränge. Warum starren sie so unbekümmert auf ihr Smartphone? Ich halluziniere bestimmt, es besteht kein Grund, um auszuflippen. Es ist Nebel, der kann nicht gefährlich sein. Meine Schritte verlangsamen sich, ich atme tief ein und beruhige mich. Ich hole meine Kopfhörer aus meiner Tasche und spiele meine lieblings Playlist ab. So kann ich am besten alles um mich herum vergessen, keine Sorgen und keinen Stress. Jetzt, da ich wieder bei Sinnen bin, komme ich mir ziemlich bescheuert vor und schäme mich dafür, dass ich solche Angst vor Nebel hatte. Ich sollte aufhören so viele Sci-fi Serien zu gucken, die haben keinen guten Einfluss auf mich.

Es wird kälter, doch meine Jacke hängt in Meiner warmen Wohnung an einem Kleiderhaken. Mist. Hände reibend schlendere ich weiter der Straße entlang. Das Wetter wird nicht besser, denn noch immer schweben mehrere Nebelschwaden umher. Wie ein Schleier hängen sie an den Hochhäusern. Ich verspüre keine Angst mehr, aber dennoch ist da dieses mulmige Gefühl im Bauch. Der Nebel verdichtet sich und senkt sich gemächlich zu Boden. Langsam macht er sich breit und ehe ich es mir versehe, sind alle Gebäude eingehüllt. Wie ist das denn passiert? Ein Schauer kriecht mir den Rücken hinunter. Ich blicke um mich und plötzlich ist überall weiß. Der Nebel hat mich eingehüllt. Verzweifelt taste ich herum und versuche etwas zu fassen. Nichts. Da ist nichts, keine Menschen keine Autos. Ich stolpere, doch der Boden ist weg und ich falle. Schreiend stürze ich in die unendliche Leere.

Was ist passiert? Mein Kopf dröhnt vor Schmerzen. Ich schaue mich um, alles, was ich sehe ist weiß. Wo bin ich und wie bin ich hierhin gekommen? Allmählich kehren meine Erinnerungen zurück. New York, ich war in New York und dann kam plötzlich dieser seltsame Nebel. Das ist also das Weiß um mich. Er hatte mich umhüllt und schließlich bin ich in die Tiefe gefallen.

Schockiert stehe ich da und blicke ins Leere. Das Entsetzen wächst in mir und ich weiss nicht was machen. Wie ein Wunder verzieht sich langsam der Nebel, bis er gänzlich verschwunden ist. Wie ist das geschehen? Habe ich den Nebel mit meinen Gefühlen vertrieben? Egal, das spielt jetzt keine Rolle. Erleichterung durchflutet mich, endlich kann ich nach Hause. Doch etwas stimmt nicht. Die Stadt hat sich verändert, der Himmel die Gebäude, alles ist mit einem weißen Schimmer überzogen. Doch das ist nicht das schlimmste: Alle Menschen sind verschwunden und ich bin allein. Ich bin allein in einer Stadt aus weiß.

Bewertung