"Sieben Tore" – eine Geschichte von Jana Podsiadlo - Young Circle

«Sieben Tore» – eine Geschichte von Jana Podsiadlo

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«Sieben Tore» – eine Geschichte von Jana Podsiadlo

Seit dem Tod ihrer Eltern hatte Ella sich immer mehr von der Aussenwelt abgeschnitten, war in ihrem Zimmer geblieben…

Es regnete. Das tat es in letzter Zeit oft in Violest Village. Ausgestreckt lag Ella auf ihrem Bett. Ihre langen dunkelroten Haare hingen verknotet an ihr herab, als sie sich aufrichtete. «Ellaaa!» Tante Anne.      
«Frühstück!» Missmutig zog sich Ella eine Trainerhose und ein schwarzes T-Shirt über. Als sie die Treppen nach unten schlurfte, stieg ihr der Geruch von frisch gebackenem Brot in die Nase. Als ihre Tante sie sah, rief sie freudig: «Ella! Guten Morgen!»
«Morgen.» Ella setzte sich an den Tisch. Ihr Onkel sah über den Rand seiner Zeitung zu ihr. Er wollte gerade den Mund aufmachen, als es an der Tür klopfte. Ellas Tante wunderte sich. «Wer könnte das sein?»
Kurz darauf kamen eine kleine Frau mit grauem Haar und ein schlanker Mann ins Esszimmer. Ella sah auf. Die Dorfälteste!, dachte sie. Diese sah sie an. Ellas Hand schloss sich um ihren Anhänger. Ein geschliffener Onyx, den sie von ihren Eltern bekommen hatte.
«Ella», sprach die Dorfälteste, «wir müssen dir etwas mitteilen.»
Ella sah sie an. «Du bist nun 16. Zehn Jahre sind seit der Tragödie vergangen.» Ella schluckte. Die Tragödie. «Vor hunderten von Jahren, sprach die Dorfälteste, «schufen unsere Vorfahren einen Kristall der Macht. Einen Kristall, der es erlaubte, jeden Wunsch des Besitzers zu erfüllen. Sie erkannten, dass so ein Kristall zu gefährlich war und zerteilten ihn in sieben Edelsteine. Diese wurden auf der ganzen Welt verteilt. Der einzige Weg den Kritsall wieder heraufzubeschwören war, die Edelsteine in ,die sieben Tore, sieben Felsen, auf dem Berg Suigera einzufügen. Vor zehn Jahren schaffte ein Magier namens Danzo es, den Kristall der Macht zu vereinen. Viele Menschen starben im Kampf. Dann machte sich das damalige Staatsoberhaupt und seine Frau mit zehn Männern auf den Weg. Sie besiegten Danzo, doch alle starben, ausser zwei Soldaten.» Ella sass still da.
Diese Nacht. Diese Nacht in der sie den Onyx bekam. Diese Nacht wo zwei schwer verletzte Männer ihr den Stein gaben. Diese Nacht wo ihre Eltern, das Staatsoberhaupt und seine Frau, starben.

Seit dem Tod ihrer Eltern hatte Ella sich immer mehr von der Aussenwelt abgeschnitten, war in ihrem Zimmer geblieben.
Die Dorfälteste riss sie aus ihren Gedanken: «Vor fünf Monaten kamen Meldungen aus der ganzen Welt. Man hat sechs der sieben Steine gestohlen.» Ella sprang auf: ,,Was?! Wer…« ,,Wir müssen uns darauf vorbereiten dass der Täter auch deinen Stein holen wird.», unterbrach sie der junge Mann. «Es wäre am besten, wenn wir den Stein mitnehmen und einschliessen.» «Nein!», rief Ella. Es ist das Einzige was von meinen Eltern noch übrig ist! «Gib den Stein!» befahl der Mann.
«Ella», sagte die Dorfälteste, «es dient zum Schutz von Allen.»
Bilder ihrer Eltern blitzten in Ellas Kopf auf. «NEIN!» schrie sie. Der Mann wollte sie packen. Ella wich aus und stürmte aus dem Haus. Sie rannte und liess ihre Beine sie leiten.
Dann stoppte sie. Was ist in mich gefahren?  Zitternd setzte sich Ella auf eine Bank. Regen prasselte auf sie herab. Dann konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.
Einige Zeit verging. Plötzlich hörte sie eine Stimme: «Ist alles in Ordnung?»
Ella sah auf. Ein Junge ihren alters mit strubbeligen braunen Haaren sah auf sie herab.
«Was machst du hier?»
«Lass mich. Mir geht’s gut.»
Der Junge lächelte. «Hör auf dich zu verstellen. Ich sehe dass es dir nicht gut geht.»
Ella zögerte. Sie fühlte sich einsam. Sie musste ihre Gefühle teilen. Sie erzählte dem Jungen alles.
Als Ella fertig war, sah er sie verständnisvoll an. «Ich kenne dieses Gefühl. Mein grosser Bruder ist im Kampf gestorben. Ein dunkler unendlicher Schmerz. Das Leben erscheint dann sinnlos.» Ella nickte und sah zu Boden.
«Ich muss etwas unternehmen können.» murmelte sie. Der Junge schwieg. Dann packte er ihre Hand und zog sie hinter sich her.
«Hey was soll das?»
«Ich will auch etwas unternehmen.»
«Wohin rennen wir?»
«Wir müssen zum Berg Suigera.»
«Warum?»
«Dort wird er am ehesten aufkreuzen.»
«Und was willst du gegen ihn unternehmen?!»
«Das sehen wir dort!»
«Wie heisst du überhaupt?», rief Ella gegen den Wind.
«Nenn mich einfach Max.»
Nach dem Gespräch rannten die beiden Seite an Seite Richtung Suigera. Ella fühlte sich… seltsam befreit. Sie hatte jemanden gefunden. Jemanden der sie verstand. Einen… Freund.

Die Wanderung zum Berg dauerte einen Tag. Während dieses Tages lernte Ella Max immer besser kennen. Und sie mochte ihn immer mehr.
Als sie sich an den Anstieg machten, sah Ella zurück zu ihrem Dorf. Ein Fleck irgendwo im Nirgendwo.
Der Aufstieg war beschwerlich. Es gab keinen richtigen Weg und Ella und Max zogen sich über Spalten und Felsen.
Als die beiden oben angekommen waren, blieb Ella vor Staunen stehen. Vor ihr lag ein Plateau. Sieben riesige Felsen mit Einkerbungen ragten in den Himmel. «Ist das nicht wunderschön Max?», fragte Ella.
Keine Antwort. «Max?» Ella drehte sich um. Dann erstarrte sie. Eine grosse, in einen Kapuzenmantel gewickelte Gestalt hielt Max fest. Er wehrte sich und trat um sich, doch es nützte nichts. «Wenn du nicht willst dass er den Berg wieder runterfliegt, gibst du mir sofort den Stein!»
Ella begann zu schwitzen. «Lass Max los!»
«Gib mir den Stein!»
«Hör auf damit!»
«Ich werde das Projekt meines Vaters beenden!»
Ella zuckte zusammen. Vater?
«Danzo war dein Vater?» Max hörte auf zu zappeln.
«Mein Vater wollte eine Welt ohne Krieg und Leiden erschaffen! Er wollte nur dass alle Menschen glücklich sind! Doch dann kam das Staatsoberhaupt von Violest Village und tötete ihn! Ich werde es beenden!»
Ella verlor die Nerven.
«HÖR AUF!», schrie sie.
Die Kapuzengestalt verstummte.
«Ich verstehe dein Leiden! Doch das ist nicht der richtige Weg! Es gibt Leiden und Wut, doch das muss man akzeptieren! Mit Gewalt das zu formen was man will ist nicht richtig!»
Die Gestalt schwieg. Dann liess sie Max los. Sie holte einen kleinen Sack aus dem Mantel und warf ihn Ella zu. Sie öffnete ihn. «Die Edelsteine!» Ella sah auf. Die Gestalt war verschwunden. Er hat es verstanden.
Sie lächelte.Jetzt musste sie nur noch verhindern, dass ihre Tante ihr den Kopf abriss.

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