"Nur für einen Augenblick" – eine Geschichte von Leona Liechti - Young Circle

«Nur für einen Augenblick» – eine Geschichte von Leona Liechti

Member Stories 2022

«Nur für einen Augenblick» – eine Geschichte von Leona Liechti

Hinter Jack tauchte wenig später ein anderer Junge auf und als ich aufblickte, schaute er mir direkt in die Augen. Für einen kurzen Moment schien die Zeit still zu stehen und sie lief erst weiter als Jack etwas zu ihm sagte und unseren Blickkontakt somit unterbrach.

Ich stiess die Tür auf und trat mit einem tiefen Atemzug auf den grossen Platz vor unserer Schule. „Heute Nachmittag um 16 Uhr bei mir.“ Ich drehte mich auf dem Absatz um und nickte Olivia, meiner besten Freundin, zu. Währenddem ich gemütlich zur Bushaltestelle lief, holte ich mein Handy aus meiner Jackentasche und suchte mir die Buslinie für später raus. Mein Bus war quälend voll aber als ich ausstieg musste ich zum Glück nur noch wenige Meter laufen. Ich klingelte und wartete, bis meine Mutter mir die Tür öffnete. „Hallo Hailey.“ „Hey Mom“, antwortete ich. Kaum trat ich ins Esszimmer sprang mir mein kleiner Bruder entgegen. „Hey Sportsfreund, na wie wars im Kindergarten?“ „Super, Mia und ich haben gemeinsam gebastelt.“ Damit entlockte er mir ein Lachen. Ja, er und Mia jeden Tag. Ich drückte ihn an mich und setzte mich dann an den Tisch. Nach dem Essen verzog ich in mein Zimmer und räumte kurz ein wenig auf. Danach stieg ich unter die Dusche und machte mich fertig. Pünktlich um 16 Uhr stand ich vor Olivias Haustür und klingelte. Ihre Mutter öffnete mir und zog mich in eine Umarmung. „Hallo meine Liebe, wie geht es dir?“ „Gut und selbst?“ „Mir geht es doch immer gut“, meinte sie und lachte. Auch wenn ich Olivia erst seit einem Jahr kenne, gehört sie einfach zur Familie. Umgekehrt ich auch zu ihrer. Während ich mich noch mit Olivias Mutter unterhielt, kam auch ihr Vater nachhause. Es war mittlerweile eine Gewohnheit, dass ich immer mit an die Fussballspiele von unserem Lieblingsverein mitging. Beim Stadion angekommen, liefen wir zur Tribüne und reservierten uns gute Plätze mit der perfekten Sicht auf das Feld. „Mit wem schreibst du da eigentlich die ganze Zeit?“, fragte ich und linste auf Olivia Handy. „Jack.“ Ich sah sie mit hochgezogener Augenbraue an und sie fing an zu lachen. „Er ist nur ein Freund und er ist heute auch hier und wir wollen uns in der Pause kurz treffen.“ „Ganz klar, nur ein Freund. Deshalb grinst du also wie bedeppert auf dein Handy?“ Als Antwort bekam ich einen abschätzigen Blick von ihr. „Dort ist er“, meinte Olivia plötzlich und zeigte auf einen Jungen in der unteren Tribüne, „und sieh nur, er ist mit einem anderen Jungen da, vielleicht ist der was für dich.“ „Lass das, du weisst was ich davon halte.“ In der ersten Hälfte gab es nur vereinzelt Jubel und von Toren war noch nichts in Sicht. In der Pause liefen wir gemeinsam nach unten, wo Jack auf Olivia wartete. Nachdem sie ihn fand, klinkte ich mich aus und ging auf die Toilette, damit sie allein waren. Da sie noch immer redeten als ich wieder raus kam blieb ich etwas weiter weg stehen und beobachtete das Gewusel. Mit der Zeit aber gesellte ich mich wieder zu ihnen und wartete. Hinter Jack tauchte wenig später ein anderer Junge auf und als ich aufblickte, schaute er mir direkt in die Augen. Für einen kurzen Moment schien die Zeit still zu stehen und sie lief erst weiter als Jack etwas zu ihm sagte und unseren Blickkontakt somit unterbrach. „Alles okay?“, fragte Olivia und stupste mich an, „du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen.“ Ich nickte hastig und merkte wie Jack zwischen mir und dem Jungen hin und her sah. Peinlich berührt sah auf den Boden. „Wir sollten langsam wieder zurück, das Spiel geht gleich weiter“, meinte Jack und umarmte Olivia erneut, mir nickte er zu. Wir drehten uns also um und liefen zur Treppe. Als ich wieder aufsah merkte ich, wie Olivia mich ansah und ich winkte ab. „Versuchs gar nicht erst.“ Mittlerweile wusste ich gut genug, wie sie tickt und wenn sie mich so ansah, führte sie in ihrem Kopf schon die besten Verkupplungspläne durch. Lachend verdrehte sie die Augen. „Ich darf hoffen und potenzial könnte es durchaus haben.“ Während der zweiten Hälfte, blickte ich immer wieder nach unten und ich könnte schwören, dass der Junge auch, ab und zu, zu uns nach oben sah. So abgelenkt, wie ich war verpasste ich sogar das erste Tor, das geschossen wurde. In der Mitte der zweiten Hälfte holten wir uns unsere Standartburger und während wir anstanden, wurde das zweite Tor geschossen und ich verpasste es wieder. Die letzten Minuten in denen wir wieder auf der Tribüne sassen passierte nicht mehr viel und Olivias Eltern beschlossen schon etwas früher zum Auto zu gehen damit sie nicht ins Gedränge kamen. Da Olivia und ich bis zum Schluss bleiben wollten, gingen sie allein vor. Als abgepfiffen wurde brach Jubel aus, denn das Heimteam, das heisst unser Lieblingsverein, gewann 2:0 gegen das gegnerische Team. Gemütlich liefen wir mit dem Strom die Treppe runter, als ich bemerkte das mein Schnürsenkel offen war. Olivia, die nicht realisierte das ich stehen geblieben war, ging weiter und ich band meinen Schuh neu. Ich musste rennen damit ich Olivia nicht aus den Augen verlor und als ich mich suchend umsah, knallte ich plötzlich in jemanden und landete auf meinem Hintern. Dieser jemand streckte mir seine Hand hin und zog mich wieder auf die Beine. Ich sah auf und blickte in die grau-grünen Augen von Jacks Freund. „Oh, tut mir leid…?“ „Liam“, sagte er und erst jetzt merkte ich das er meine Hand immer noch hielt. Er schien es zu bemerken den er liess los und fuhr sich durch die Haare. „Ich sollte dann mal gehen, sorry nochmal Liam“, sagte ich und drehte mich um. Ich war vielleicht gerade mal zwei Meter gegangen als ich ihn hinter mir hörte, „ich weiss gar nicht wie du heisst.“ „Hailey“, antwortete ich. „Schöner Name“, sagte er und ich lächelte. „Bekomme ich deine Nummer Hailey?“ Schon fast bittend sah er mich an und streckte mir sein Handy entgegen. Mit zittrigen Händen tippte ich meine Nummer ein. Danach gab ich es ihm zurück und mit einem letzten Blick in seine Augen und einer gemurmelten Verabschiedung drehte ich mich um und lief Olivia hinterher. Vielleicht lag sie doch nicht so falsch wie ich gedacht hatte.

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