"Mein Veilchen" - Eine Geschichte von Sara Stein - Young Circle

«Mein Veilchen» – Eine Geschichte von Sara Stein

Member Stories 2023

«Mein Veilchen» – Eine Geschichte von Sara Stein

Calla erlebt den Frühling mit ihrer Freundin Viola und spürt, wie die Natur wieder zum Leben erwacht. Die Liebe zwischen den beiden Mädchen hat Calla aus einer dunklen Phase gerettet, und sie genießen die Farben und die Freude des Frühlings gemeinsam.

Die Sprossen der Veilchen stecken ihre Köpfe aus der Erde. Sie räckeln und strecken sich den ersten Sonnenstrahlen entgegen. Die beinah reglose Landschaft erwacht zu neuem Leben. Die Schneeglöckchen läuten den Beginn der schönsten aller Jahreszeiten ein. Der Frost, der den Boden bedeckt hat, taut auf und feine Wassertropfen rutschen den Grashalmen entlang auf die feuchte Erde. Bunte Primeln übersähen die Landschaft und erfreuen mit ihrer strahlenden Schönheit die junge Frau, welche auf ihrer Morgenrunde an der blühenden Wiese vorbeikommt. Sie lächelt. Der Winter ist vorbei. Die dunklen Tage und die eisige Kälte sind verschwunden. Die bedrückende Stimmung, welche sich wie ein Schleier über die Städte gelegt hat, ist vorübergezogen. Die warmen Sonnenstrahlen tauen die kalten Herzen wieder auf und zaubern viele fröhliche Gesichter. Der Frühling beginnt. Eine Zeit voll neuer Hoffnung. Die Natur hat sich erholt. Der jährliche Weihnachtsstress ist vorbei und eine angenehme Gelassenheit erfüllt die Häuser. Die Veilchen blühen nun in voller Fülle. Ihre herzförmigen blauen Blüten nehmen die kühle Morgenluft in sich auf. Der Tag bricht an.

Ihr Veilchen öffnet verschlafen die Augen. Sie liegt neben ihr und wie schon so oft verliert sich Calla in ihre blütenblaue Farbe. Die schönste aller Jahreszeiten verbirgt sich dahinter. Ihre Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln als die Sonnenstrahlen ihre Freundin an der Nase kitzeln und sie die Augen zusammenkneift. „Du bist mein Anfang und mein Ende“ flüstert sie ihrem Veilchen ins Ohr. Und so meint sie es auch.

In allen nur vorstellbaren Sinnen, kann Calla den Morgen nicht ausstehen. Die Dunkelheit, die früh morgens den Himmel verdeckte nimmt ihr selbst den letzten Funken an Motivation, die sie mit grosser Mühe für den Tag aufgebringen konnte. Der Morgen bedeutet für sie alles erdenklich Schlechte. Viola ist alles andere. Sie ist der Sonnenschein, welcher durch den dunklen Nachthimmel hindurchdringt und Calla, selbst am Morgen früh, ein Lächeln aufs Gesicht malt. Calla streicht Viola die blonden Locken hinter die Ohren. Wie lebendig sich die vielen Strähnen ineinander kräuseln. Sie tippt ihr sanft auf die Nase und schlurft schliesslich mit einem Lächeln im Gesicht ins Bad. Das warme Wasser läuft plätschernd über ihre Fingerspitzen. Sie spürt, wie es sich auch ihr Herz ganz warm anfühlt. Sie weiss genau wie es einmal gewesen war. Ihr Herz war eiskalt. Gefangen in einer ewigen Dunkelheit. Ihre Gesichtszüge waren kühl und und zeigten kaum eine Regung, wenn man mit ihr sprach. Nie hätte sie gedacht, dass jemand die Kälte, welches ihr Herz in ihre Arme geschlungen hatte, durchbrechen kann. Die verbitterte Welt, in der sie sich verloren hatte, schien so freudlos, die Gefühle scheinbar unsichtbar. Unkontrolliert schossen Gedanken durch ihren Kopf, die sie nicht loswerden konnte. Nicht einmal im Schlaf liesen sie Calla verschont. „Du siehst unglücklich aus.“, sagte ihr kleiner Bruder oft. Diese Worte wiederholte sie unzählige Male in ihrem Kopf. Immer und immer wieder. Glücklich sein. Dieses glücklich sein kannte sie nicht mehr. Sie vergass was es bedeutete und wie viele Gedanken sie auch verfolgten, wie man sich glücklich fühlte, fiel ihr einfach nicht ein. Das Einzige, was sie glaubte zu fühlen, war eine erdrückende Kette, die sich so schwer wie Eis um ihr Herz gelegt hatte. Die Kette würgte immer mehr an ihr und sie vergrub sich immer tiefer im Loch voller Selbstzweifel, Angst, Trauer und Tränen. Die Dunkelheit verschluckte selbst den letzten Rest der Freude, die sie in sich trug. Als die Dunkelheit beinahe auch sie verschlang, reichte ihr ein Mädchen die Hand. Es war Viola. Sie strahlte über beide Ohren hinweg. Calla schaute auf und allein der Blick in die hoffnungsvoll leuchtenden Augen, reichten aus, um die Flamme hinter der Eisschicht wieder aufleuchten zu lassen. Viola liess ihre Hand nicht mehr los. Sie schenkte Calla die Hoffnung und liess ihr Leben in allen Farben erblühen.

Calla geht zurück ins Schlafzimmer. Viola liegt friedlich, die Decke bis zur Nase hochgezogen im Bett. Calla rüttelt sie so lange, bis sie freiwillig, wenn auch nur mürrisch, aufsteht. Sie wickeln sich ein feines Tuch um den Hals und öffnen die Haustüre. Eine angenehm frische Brise weht ihnen entgegen. Hand in Hand spazieren sie entlang der kahlen Felder. Die Tage waren gerade erst länger geworden und die ersten Sonnenstrahlen wärmen die Haut. Viola bleibt stehen. Sie bückt sich und streckt Calla ein herzförmigs Veilchen entgegen. „Es ist Frühling“, wispert sie. Calla legt ihr sanft die Arme um die Schultern. Sie spürt, wie sich der Herzschlag an ihrer Brust mit Violas verbindet. Sie lächelt. Glücklich zu sein fühlt sich so leicht an. Die Freude, nach der sie so lange gesucht hatte, schiesst durch ihre Adern und verdrängt selbst restliche Trauer, die sich in ihr festgesetzt hatte. Calla löst sich aus der Umarmung und blickt in die veilchenblauen Augen iher Freundin. Die schönste aller Jahreszeiten verbirgt sich in ihnen. „Ich mag den Frühling“ meint Viola. «Die Welt kehrt aus ihrem Winterschlaf zurück». «Die Dunkelheit hat endlich ein Ende» fügt Calla hinzu. Das Gedankenchaos in ihrem Kopf lichtet sich und auf einmal ist da nur noch ein einziger Satz, an den sie denken kann. „Ich liebe dich“ und schaut ihrem Veilchen dabei tief in die blauen Augen. „Ich liebe dich auch“ und gibt Calla einen lieblichen Kuss auf die kühlen Lippen. Viola lächelt und Calla tut es ihr gleich. Sie möchte etwas erwidern, doch Viola hat bereits etwas Neues entdeckt und zieht sie eilig hinter sich her. Eine Weide voller bunter Primeln erstreckt sich vor ihnen.

«Die Farben sind das Lächeln der Natur und die Blumen sind ihr Lachen»

Viola ist ihre Blume.

«Mein Veilchen»

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