"Margarita" – eine Geschichte von Leonie Prusse - Young Circle

«Margarita» – eine Geschichte von Leonie Prusse

Member Stories 2022

«Margarita» – eine Geschichte von Leonie Prusse

Das Einkaufen war für mich stets ein willkommener Unterbruch vom Lernen und die Begegnung mit Margarita war dabei das Schönste. Ich wusste nicht genau, was an diesen Zusammentreffen so speziell war, vielleicht, weil sie ein fester Bestandteil von meiner Routine geworden waren. Sie hatten beinahe etwas Magisches an sich.

Ich legte die Tomaten in den Einkaufswagen und ging weiter zum Regal mit den Frühstücksflocken. Margarita konnte ich noch nirgends entdecken. Das war komisch, denn normalerweise begegneten wir uns jede Woche am Mittwoch, genau um 15 Uhr, vor dem Regal mit den Frühstücksflocken. Ich kannte Margarita nicht wirklich, doch da wir uns schon seit über einem Jahr jede Woche genau zum gleichen Zeitpunkt sahen, waren wir uns auf eine besondere Art vertraut. Irgendwann hatten wir mal die Namen ausgetauscht und seitdem lächelten wir uns nicht nur zu, sondern begrüssten uns mit Namen.

Wenn ich um die Ecke kam, stand sie normalerweise bereits vor dem Regal und betrachtete die vielen verschiedenen Müslisorten. Ich konnte ihr jedes Mal ansehen, wie sie sich überlegte, was für eine Sorte sie nehmen sollte, und doch griff sie am Schluss immer nach den Haferflocken. Ihre Hand zitterte dabei leicht, das lag wahrscheinlich an ihrem Alter.

Sobald sie die Packung in den Einkaufswagen gelegt hatte, schaute sie sich jeweils nach mir um. Wenn sie mich dann entdeckte, begannen ihre Augen zu strahlen und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Ich lächelte sie ebenfalls an: «Hallo Margarita!»

Mit diesen Worten griff ich nach einer Packung Müsli für meinen älteren Bruder. Dabei war es eine Sorte Müsli, die ich selbst überhaupt nicht mochte. Nachdem ich ihr nochmals zugelächelt hatte, setzte ich anschliessend meinen Einkauf fort.

Das Einkaufen war für mich stets ein willkommener Unterbruch vom Lernen und die Begegnung mit Margarita war dabei das Schönste. Ich wusste nicht genau, was an diesen Zusammentreffen so speziell war, vielleicht, weil sie ein fester Bestandteil von meiner Routine geworden waren. Sie hatten beinahe etwas Magisches an sich. Danach war ich jedes Mal wieder motiviert, weiterzuarbeiten und meine Ziele und Träume zu verfolgen. Vermutlich lag das auch an der positiven Art, die sie ausstrahlte.

Doch heute tauchte Margarita einfach nicht auf. Bevor ich mich zur Kasse aufmachte, ging ich extra nochmals zum Müsli-Regal, um zu schauen, ob sie nicht inzwischen doch noch gekommen war. Ich wartete lange auf sie, aber als sie eine Stunde später noch immer nicht aufgetaucht war, ging ich nach Hause.

Mit einem mulmigen Gefühl im Magen verliess ich den Supermarkt. Obwohl ich Margarita nicht wirklich kannte, machte ich mir Sorgen um sie. Was, wenn ihr etwas zugestossen war und niemand davon wusste? Leider fiel mir keine Möglichkeit ein, wie ich sie hätte ausfindig machen können, da ich nur ihren Vornamen kannte. Ich wusste nicht einmal, ob sie in einem Altersheim oder in einer Wohnung lebte, ob sie verheiratet war oder Kinder hatte…

Grundsätzlich war es mir egal, was andere Menschen von mir dachten, doch was Margarita durch den Kopf ging, wenn sie mich sah, hatte mich schon immer wundergenommen. Bisher hatte ich jedoch noch nie den Mut gefunden, sie darauf anzusprechen. In diesem Moment realisierte ich, dass sie ­– diese unbekannte Margarita – mir am Herzen lag. Obwohl ich sie nicht eigentlich kannte, waren diese wöchentlichen Treffen zu einer willkommenen Unterbrechung in meinem Alltag geworden. Und genau deswegen war mir vermutlich auch nicht wirklich egal, was Margarita von mir dachte. Da sie bis jetzt ausnahmslos jeden Mittwoch um 15 Uhr Haferflocken kaufen ging, war ich wahrhaftig besorgt um sie.

An diesem Abend lag ich noch lange schlaflos im Bett. Schliesslich entschied ich mich, dass es keinen Sinn hatte, wenn ich mir allzu grosse Sorgen um sie machte, denn es bestand auch die Möglichkeit, dass sie sich mit einer Freundin genau um diese Zeit verabredet und bereits am Vortag ihren Einkauf erledigt hatte. Es war nur etwas seltsam, da dies bis jetzt noch nie vorgekommen war.

Da ich sehr intensiv mit dem Studium beschäftigt war, verging die nächste Woche wie im Flug und schon bald war wieder Mittwoch, Einkaufstag. Dieses Mal freute ich mich besonders auf den Einkauf, denn einerseits musste ich in den letzten Tagen so viel lernen, dass mir eine Unterbrechung mehr als willkommen war und andererseits war ich gespannt, ob ich Margarita heute wieder beim Einkaufen sehen würde.

Wie immer fing ich mit den Früchten an und ging dann weiter zum Gemüse. Um 14:59 machte ich mich auf den Weg zum Müsli-Gestell und stand um punkt drei Uhr davor. Margarita konnte ich noch nicht sehen, doch mein Gefühl sagte mir, dass sie heute noch kommen würde. Ich nahm eine Packung Müsli und legte sie zu den anderen Lebensmitteln in den Einkaufswagen. Weil ich sie noch immer nicht sehen konnte, entschied ich mich, meinen Einkauf fortzusetzen und mich am Schluss nochmals nach ihr umzusehen. Gerade als ich den Einkaufswagen weiterstossen wollte, tippte mir jemand auf die Schulter…

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