"It's just us" – eine Geschichte von Ellen Blatter - Young Circle

«It’s just us» – eine Geschichte von Ellen Blatter

Member Stories 2022

«It’s just us» – eine Geschichte von Ellen Blatter

Es ist finstere Nacht als ich aufwache. Die Albträume machen mir anscheinend doch mehr zu schaffen, als ich dachte. Immer dieselben Bilder.

Es ist finstere Nacht als ich aufwache. Die Albträume machen mir anscheinend doch mehr zu schaffen, als ich dachte. Immer dieselben Bilder. Mein Bruder der in den Katakomben der Burg von Wölfen gejagt und zerfetzt wird. Meine Mutter die von meiner Tante kaltblütig ermordet wird und natürlich Jazz. Meine feste Freundin, die unten bei den Arbeitern lebt und jeden Tag der Gefahr ausgesetzt ist, von meiner Familie entdeckt und hingerichtet zu werden. Dieser homophobe Haufen, den ich meine Familie nennen muss, weiss nämlich nichts von Jazz und dass muss auch so bleiben.

Ich wälze mich noch etwas hin und her, bis ich schliesslich aufstehe, die schwere Mahagonitür meines Zimmers öffne und nach unten gehe. In der Burg herrscht um diese Zeit totale Finsternis, aber am Fusse des Hügels, auf dem die Burg der Lasavas steht, geht es schon hoch her. Arbeiter, die zu den Staudämmen gefahren werden, um sie instand zu halten und auf brüchige Stellen zu untersuchen. Den Staudämmen von denen unser aller Leben abhängt. Jubera wird nämlich zu allen Seiten von riesigen Wassermassen umgeben, als würden sie nur darauf warten, die Staudämme zu zerbrechen und ganz Jubera zu überfluten.

Gerade als ich wieder nach oben gehen will, kommt jemand aus dem Flur, der in die Eingangshalle führt. Es ist Will, mein persönlicher Lehrer und auch mein bester Freund. «Hey Keira, was treibst du dich hier herum, solltest du nicht friedlich in deinem Bett liegen und dich auf dein Date vorbereiten?!», fragt er spöttisch. Ja okay er weiss von mir und Jazz. Und falls nicht, hätte er es so oder so herausgefunden. «Leck mich doch» erwidere ich lachend, zeige ihm den besten aller Finger und renne die Treppe hinauf in mein Zimmer.  Aber Will hat recht. Wenn ich Jazz morgen nicht mit tiefschwarzen Augenringen gegenübertreten will, sollte ich jetzt wirklich schlafen.

«Noch 3 Stunden bis zu deinem Date!» verkündet mein Ritterschwertwecker ausgelassen. Scheisse. Eigentlich sollte ich jetzt bereits geduscht und mit meiner Morgenroutine durch sein. Stattdessen liege ich komplett verschlafen in meinem Bett und fahre mir durch das wirre Haar. Jazz war bestimmt schon mit Katsa, ihrer wunderschönen Dobermann Hündin, draussen. Beim Gedanken an sie muss ich lächeln. Das Lächeln verdunkelt sich, als es mir einfällt. Heute ist Ratssitzung und ich muss mich an meinem Vater vorbei aus dem Haus schleichen. Aber wenn ich und Jazz erst mal im Wald rund um die Burg sein werden, wird das alles in den Hintergrund rücken und es wird sich wieder so anfühlen, als ob wir allein auf dieser Welt wären. Als ob das Meer Jubera nicht demnächst verschlingen würde und als ob wir ein glückliches Leben führen würden. Als ob alles gut sein wird, sobald ich in ihre Arme fallen kann.

Aber jetzt muss ich erstmal duschen gehen.

2 Stunden später bin ich bereit zum Aufbruch und komme nur knapp hinter dem Rücken meines Vaters aus der grossen Tür in der Eingangshalle. Kaum bin ich draussen, renne ich los zu meinem Pferd, steige auf und reite ohne Sattel los in den Wald. Schon wieder etwas worüber sich mein Vater aufregen würde. Ich grinse und höre auch schon, wie Jazz meinen Namen ruft. Ich springe aus dem Sattel, renne zu ihr und nehme sie fest in die Arme. Mein Lächeln erlischt, als ich die Narben an ihren Armen sehe. Verdammte Staudämme, verdammtes Arbeiterleben, verdammte Regierung, die zulässt, dass sich Menschen derart abrackern müssen, nur um abends etwas zu essen auf dem Tisch haben zu können. Ich löse mich aus der Umarmung und küsse sie lang und innig. Oh Gott, ich liebe sie so sehr. Jazz erwidert meinen Kuss und so stehen wir da. Halb umarmend, halb küssend zwischen unseren Pferden auf «unserer» Lichtung. Warum kann es nur nicht immer so sein, frage ich mich. Dabei kenne ich die Antwort. Wir können nicht für immer so leben, weil meine Familie es nicht akzeptieren würde. Sie würden uns jagen. Bis in alle Ewigkeit.

Wir lösen uns voneinander und setzen uns auf den weichen Waldboden, während die Pferde neben uns grasen. «Wir könnten es tun, weisst du?», meint Jazz, «wir könnten abhauen und niemals wiederkommen». «Hoffnungslos» antworte ich, «du kennst meine Familie. Sie würden niemals aufgeben und uns verfolgen, bis sie uns haben. Dich würden sie öffentlich hinrichten lassen und mich in eine ihrer königlichen Erziehungsanstalten stecken, einfach weil sie es können».

Ich bin gerade rechtzeitig zurück in der Burg, um mich umzuziehen, meine Haare zu flechten und meinen Platz im Ratssaal einzunehmen. Ich hasse es so sehr. Alle aus der juberanischen Oberschicht finden sich hier zusammen, nur um den gewöhnlichen Bürgern Juberas das Leben noch schwerer zu machen und natürlich, um sich vollzufressen und masslos zu betrinken. Ist ja alles auf Kosten der Bürger, also können die Entscheidungsträger so viel essen, wie sie wollen, ohne dafür zu bezahlen. Und dass nennen wir Regierung. Zähneknirschend muss ich auf das höfliche Geplänkel der Ratsmitglieder eingehen, schliesslich bin ich die verdammte Thronfolgerin. Ach, wäre Jazz jetzt doch hier. Dann hätte ich etwas Besseres zu tun als zwischen den verschiedenen Leuten hindurchzuschlendern und nicht gelangweilt zu wirken.  Da läutet die Ratsglocke endlich und die Sitzung beginnt.

Zwei nervenaufreibende Stunden später sind wir endlich fertig und ich kann in mein Zimmer fliehen, mich umziehen und wieder in den Wald verschwinden.

Ich reite durch den Wald, bis ich völlig durchgeschwitzt auf einer Lichtung abspringe, mich an einen Baum hocke und nur für eine Minute die Augen schliesse…

Scheisse. Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist und eigentlich mit meinem Vater vereinbart, pünktlich zuhause zu sein. Das ist der Deal. Ich «darf» hinaus, wenn ich pünktlich wieder zurück bin, um meine «Pflichten als Thronfolgerin zu erfüllen». Das heisst ich muss den ganzen Tag nur lächeln und «majestätisch» wirken. Darauf legt meine «geschätzte Verwandtschaft» besonders viel Wert.

Aber wenn ich wieder mit Jazz im Wald bin und das Licht der warmen Frühlingssonne oder der erste Herbstregen durch das Blätterdach bricht, ist das alles nicht mehr wichtig und ich kann nur noch den einen Satz denken. Its just us.

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