Das Mädchen starrte in die Leere, statt in die Sterne nach oben zu sehen. Sie sah das Dunkle, während sie den kleinen Lichtflecken keine Beachtung schenkte.
Vielleicht hatten sie Recht. Sie würde nie ihren Traum verwirklichen. Es waren blosse Vorstellungen. Das Schönste, was ihr passiert ist, war etwas, was gar nicht wirklich geschehen ist. Die Träume, die sie hatte, wie alles sein könnte … all das fand in ihrem Kopf statt. Es war nicht so. Die Wirklichkeit sah anders aus.
„Adela, an was denkst du? Du siehst so traurig aus.“
Ihr Vater, der neben ihr im Grass sass, schien bemerkt zu haben, was ihre eigentlichen Sorgen waren. Sie waren an dieser grossen Grasfläche, die Abenddämmerung war bereits vergangen. Es war ihr Lieblingsort gewesen. Dieser Ort hatte ihr Hoffnung gegeben, zumindest damals.
Doch dann erinnerte sie sich, was ihr noch vor ein paar Wochen gesagt wurde …:
‚Begreife endlich, dass es nicht so ist, wie du immer gedacht hast … und es auch nie so sein wird. Deine Vorstellungen und Wünsche entsprachen nie der Wahrheit.‘
Manchmal war man an den Tiefpunkt angelangt, wo man seine grössten Träume nicht mehr verfolgen wollte, weil einem etwas Wichtigeres genommen wurde, man sich bloss danach sehnte, was man nicht mehr hatte.
„Ihr hattet Recht: Es ist nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe, so wie ich es wollte.“
Sie fühlte sich einsam, schon eine lange Zeit … seitdem das passiert ist und sie keine andere Option hatte, als wegzuziehen. Vielleicht war sie das Problem. Irgendwo musste das Problem seine Wurzeln haben, dachte sie sich.
„Haben Sie mich verstanden?“
Sie zuckte zusammen als wäre sie gerade von einem tiefen Schlaf erwacht worden. Erst jetzt bemerkte sie den jungen Mann mit einem französischen Akzent, der direkt neben ihrem Tisch stand und sich gerade geräuspert hatte. Sie sah zu ihm hinauf, und ihr kam die Frage, wie lange er schon wartete. Plötzlich kam ihr ein Hauch von schlechtem Gewissen und nach einem Seufzen erwiderte sie:
„Entschuldigen Sie mich, ich war gerade … bei anderen Gedanken.“
Sie erkannte, wie seine Mundwinkel sich zu einem unvermeidbaren Lächeln weiteten. In einem der überfüllten Stadtcafés wie diesem war es äusserst selten, dass ein Kellner so viel Geduld hatte.
„Wie lange warten Sie schon?“
„Eine Weile.“, meinte er nur.
Sie öffnete den Mund, nahm einen Atemzug, während sie ihn mit einem fragenden Blick ansah. Aus ihr kam nichts heraus, als wäre sie noch nicht ganz bei der Sache.
Stille. Die Leute im Umfeld plauderten lebhaft miteinander, während sie sich nur musterten. Doch in Wirklichkeit schien es bloss so, als ob sie ihn ansehen würde, während sie etwas anderes nicht losliess. Obwohl es so laut war, blendete sie es aus. Nur etwas konnte sie nicht ignorieren. Es war wie ein Parasit in ihrem Kopf, etwas das sie die ganze Zeit an die eine Sache denken liess.
Doch sie konnte ihn nicht weiter warten lassen. Die Welt um sie herum ging weiter.
„Was haben Sie mich vorhin gefragt?“
„Jemand hat sich nach Ihnen erkundigt. Angeblich will er Sie treffen.“, wiederholte er das, was sie scheinbar überhört hatte.
Ihr Atem beschleunigte sich, als sie realisierte, dass es nicht bloss Gedanken waren. Es war ihr keine Frage, wer es wohl auf sie wartete. Sie spürte, wie sich der Druck in ihr ausbreitete. Ihr entging es nicht, wie es auf den nächsten Moment kälter wurde. Zitterte sie etwa?
„E-er ist hier?! In diesem Café?“, stockte sie plötzlich.
Nicht, dass es sie überraschte, … sie konnte es eigentlich erwartet haben. Irgendwann würde er kommen, hierher zurück. Sie wusste, dass sie nicht mehr davor fliehen konnte, es keinen Ausweg mehr gab. Er würde sie sowieso finden, zumindest physisch. Sie hoffte, dass es nur bei der Vermutung blieb, dass es anders kam, als sie erwartete.
„Geht es Ihnen gut? Sie sehen so blass aus.“, fragte der Kellner mit einem besorgten Unterton.
„Nein, ich glaube ich …“
Für einen Moment schloss sie die Augen.
Vielleicht würden sie sie ins Krankenhaus bringen, besser als dorthin, wo sie bestimmt war, zu sein. Doch er würde sie sowieso an diesen Ort nehmen, er fand immer einen Weg, während es für sie keinen Ausweg gab. Sie konnte die Vergangenheit nicht ignorieren. In diesem Moment erhob sie sich und liess ihr Portemonnaie am Tisch liegen. Der junge Mann war daran, es ihr zurückzugeben, was sie ablehnte.
„Nehmen Sie sich das Geld.“
Daraufhin wunderte er sich: „Was haben Sie vor?“
„Ich gehe.“
Dann stand ihr das Gesicht gegenüber, welches sie am wenigsten sehen wollte: Ihr Vater. Er war zurückgekehrt, nachdem er sie verlassen hatte und wollte sie von Zuhause mitnehmen an die Ortschaft wo alles angefangen hatte. Sie hatte eigentlich vorgehabt, mit der Vergangenheit Schluss zu machen. An den Ort, wo einst ihre Träume Realität gewesen sind, bis sie erloschen sind, in Flammen verbrannten. Genau wie alles andere, was ihr wichtig war. Alles war einst zu perfekt gewesen, um noch Gegenwart zu bleiben. Doch wenn sie nicht Frieden mit der Vergangenheit machte, würde es ihr immer eine Last bleiben.
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