"Im Augenblick der Begegnung" – eine Geschichte von Jarina Lutz - Young Circle

«Im Augenblick der Begegnung» – eine Geschichte von Jarina Lutz

Member Stories 2022

«Im Augenblick der Begegnung» – eine Geschichte von Jarina Lutz

Der Typ von der Bar läuft an mir vorbei. Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, verlässt er, mit zwei Drinks in der Hand, mein Blickfeld. Ich spüre das Prickeln seiner flüchtigen Berührung weiter auf meiner Haut, als hätte sie sich in meine Schulter gebrannt. «Offenbar hat er eine Freundin.»

„Wer ist das?“ Meine Stimme wird von der lauten Musik übertönt. „WAS?“, schreit Silvi zurück. „Wer das ist!“ Ich trete noch näher an sie heran, als ich eh schon stehe. Nun brülle ich ihr die Worte direkt ins Ohr. „Der?“ Ihre ausgestreckte Hand zeigt auf einen Typen, welcher an der Bar steht. Lässig lehnt er sich dem Barkeeper entgegen, während er eine Bestellung aufzugeben scheint. „Nicht so auffällig!», zischend schlage ich ihr die Hand hinunter. «Er dreht sich doch von uns weg.» «Trotzdem.» Mein Blick bleibt weiter an ihm hängen. «Keine Ahnung, kenne ich auf jeden Fall nicht.», dabei zuckt sie mit den Schultern. «Aber geh doch mal hin und sprich ihn an.» Sie verpasst mir einen leichten Schubs, was mich nach vorne taumeln lässt. «Spinnst du?», entrüstet drehe ich mich zu ihr. «Auf keinen Fall.», schnaube ich. «Ach, komm schon. Passiert doch nichts. Ausserdem wäre es süss.», ihre Stimme nimmt einen hohen Tonfall an, so wie sie es immer tut, wenn Silvi etwas süss findet. «Entschuldige, darf ich mal?» Zuerst höre ich nichts, bemerke aber dann, wie jemand hinter mir steht und weiche zur Seite. Der Typ von der Bar läuft an mir vorbei. Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, verlässt er, mit zwei Drinks in der Hand, mein Blickfeld. Ich spüre das Prickeln seiner flüchtigen Berührung weiter auf meiner Haut, als hätte sie sich in meine Schulter gebrannt. «Offenbar hat er eine Freundin.» Mit einem sanften Nicken in Richtung Longue, gibt mir Silvi zu verstehen, wohin der Typ gegangen ist. Tatsächlich lässt er sich in dem Moment auf die Couch nieder. Er stellt die Getränke vor sich auf den Tisch und gibt dem Mädchen neben sich einen Kuss auf die Lippen. Meine kurzfristigen Glücksgefühle verfallen so schnell, wie sie gekommen sind.

«Tja, dann wird es wohl doch Silas für dich.» Ein herausforderndes Lächeln liegt auf Silvis Lippen. Dafür kassiert sie einen vernichtenden Blick. Silas und ich sind Freunde, mehr nicht. Es geht aber schon lange das Gerücht herum, er würde auf mich stehen. «Ich brauch frische Luft.» Meine Beine bewegen sich automatisch zum Ausgang. Keine Ahnung, ob Silvi mir folgt. Ich werde sie schon wiederfinden. Beherzt drücke ich an der Tür, nichts bewegt sich. «Du musst ziehen.» Eine Hand greift von hinten an mir vorbei. Mit einem kräftigen Ruck schwingt die Tür auf. Ich muss mich wegdrücken, um nicht getroffen zu werden. Wem ich gegenüberstehe, kann ich fast nicht glauben. Es ist der Typ von der Bar. «Danke.», murmle ich. Er hält mir die Tür auf, während ich nach draussen trete. Unsicher, ob er mir folgt, bleibe ich direkt daneben stehen. Ein einzelnes Auto fährt vorbei. Die Luft ist kühl und mit einer sanften Brise versehen, was mich sofort frösteln lässt. «Auch eine?» Der Typ hält mir eine Zigarette entgegen. «Nein danke.», lehne ich ab. «Du bist vernünftig. Rauchen ist ungesund.» Mit diesen Worten zündet er sich eine Zigarette an. Er qualmt mir direkt ins Gesicht. «Wie heisst du eigentlich?» «Ich?» «Siehst du hier sonst noch jemanden?.» Seine Stimme nimmt einen sarkastischen Tonfall an. «Felia.», antworte ich schliesslich auf seine Frage. «Felia?» Seine Stimme klingt dunkel und rau. «Ja, genau.» «Kann ich dich auch Feli nennen?» Warum fragt er mich das? Warum will er mich überhaupt irgendwie nennen? «Also eigentlich nennt mich niemand Feli. Wenn, dann Lia.» Das Gespräch ist mir unangenehm. «Ich nenn dich Feli, passt zu dir.» «Ähh, danke.» Ich ziehe meine Augenbrauen nach oben, die Situation ist irgendwie komisch. «Und du? Wie heisst du?» Sein Blick wandert zu mir. Zuvor hat er stur geradeaus geschaut. Ich sehe, wie er mich mustert, als müsste er abschätzen, wie vertrauenswürdig ich bin. Dabei hat er damit angefangen. «Mein Name ist Lyan.» Er lässt die Kippe auf den Boden fallen und tritt mit der rechten Schuhsole darauf. «Du kannst mich Lyan nennen, ich habe keinen Spitznamen.» Ich erwidere nichts, was soll ich auch sagen.

«Ich geh wieder rein. Rauchen ist ungesund, ich sollte echt damit aufhören.» Er spricht zu mir. Zu wem auch sonst. Doch ich sehe nicht zu ihm. Mein Blick liegt auf dem tristen, massiven Gebäude gegenüber. Die Fassade normalerweise dunkelgrau, schimmert im Licht des Mondes hell. Wie absurd die Situation für Aussenstehende wirken mag. «Aber das ist eben gar nicht so leicht mit so einer Freundin.» Überrascht schaue ich auf. Bisher dachte ich, wir halten das Gespräch oberflächlich. Sein Blick streift Meinen. Sekunden verharren wir reglos. Es fühlt sich an, als wären es Stunden. Dann wendet er sich abrupt ab. «Man sieht sich.» Mit diesen Worten geht er wieder zurück in den Club. Ich warte geschlagene fünf Minuten, bis auch ich mich wieder nach Innen begebe. Ich will nicht den Anschein erwecken, als wären wir zusammen draussen gewesen. Suchend halte ich nach Silvi Ausschau. Ich erkenne sie mit einem Typen in der hinteren rechten Ecke. Ich beschliesse, ein Getränk an der Bar zu bestellen. Mühsam schlängle ich mich durch die tanzende Menge. Immer wieder streifen mich Körper, die durch den Alkohol, etwas die Kontrolle über sich selbst verloren haben. «Eine Cola bitte.» Der Barkeeper gibt mit einem Nicken zu verstehen, dass er verstanden hat. Ich lasse mich auf einen Hocker fallen, meine Beine machen langsam schlapp. Mein Blick wandert durch den Raum. In der hintersten Ecke auf der Longue, sehe ich Lyan. Er sticht einfach hervor. Er streitet sich mit einem Mädchen. Entrüstet verwirft er die Hände und ich befürchte schon, er könnte handgreiflich werden. Doch er kann sich zügeln und stampft schliesslich mit festen Schritten davon. Wahrscheinlich um zu rauchen. Doch er bewegt sich nicht auf den Ausgang zu, sondern kommt zur Bar. Vielleicht bilde ich es mir auch ein, aber er scheint mir direkt in die Augen zu sehen. Als wäre ich sein Ziel, dass er unbedingt erreichen möchte. Er kommt näher, und plötzlich steht er vor mir. Ich spüre seinen Atem auf meiner Haut und sein Blick hat sich verdunkelt. «Bitte verzeih mir.» Ohne die Worte wirklich zu realisieren, landen seine Lippen auf Meinen.

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