"Hoffnung" – eine Geschichte von Lili Byber - Young Circle

«Hoffnung» – eine Geschichte von Lili Byber

Member Stories 2022

«Hoffnung» – eine Geschichte von Lili Byber

Meine Hände zitterten ebenfalls, und einige Tränen schlichen sich in meine Augen. Genauso wie im Traum. Ich zögerte kurz, mein Gesicht wurde noch blasser. Der Traum! Was, wenn der Traum in Wirklichkeit eine Warnung gewesen war? Was, wenn ein Teil von mir das vorhergesehen hatte?

Ich wachte auf, schweissdurchnässt. Neben mir lag meine Decke, unsanft zur Seite geschoben, und wenn ich mich nicht täuschte, prangte ein gewaltiges Loch darauf. Es schien so, als hätte ich mich während des Traumes gegen sie gewehrt, so, als würde ich versuchen, gegen den Traum zu kämpfen. Aber natürlich konnte ich das nicht. Der Traum gewann immer. Vorsichtig stützte ich mich auf. Mein Kissen lag auf der anderen Seite meines Zimmers, und das wäre merkwürdig gewesen, wenn ich ein grösseres Zimmer hätte. So konnte ich mir locker zutrauen, dass ich es in der Nacht auf die andere Seite geschleudert hatte. Ich fasste in mein Gesicht, überrascht, dass es feucht war. Hatte ich etwa geweint… im Traum? Das war mir noch nie passiert.

Genervt wischte ich die Tränen weg, die bereits halbwegs getrocknet waren, und als ich aufstand, wich ich vor Schreck wieder zurück. Über dem Bett, an der Wand, klebte ein Tropfen roter Flüssigkeit. War ich so fest um mich geschlagen, dass ich mich verletzt hatte? War das Blut an meiner Wand? Ich tastete mich nach der Wunde ab, da es immer noch recht dunkel war und meine einzige Lichtquelle die Digitaluhr war. Ich sah zu ihr hinüber. Exakt 0 Uhr. Das musste etwas bedeuten.

Ich konnte nirgends eine offene Wunde entdecken, und daher richtete ich die Decke wieder, suchte nach dem Kissen, dass irgendwo im Zimmer lag. Andere hätten sich vorgenommen, wieder einzuschlafen, aber ich wollte gar nicht schlafen. Ich konnte nicht schlafen. Was hatte ich für ein Albtraum gehabt, dass ich so schlimm um mich geschlagen habe? Ich war unendlich dankbar, dass ich mich nicht daran erinnern konnte, da es sehr schlimm gewesen sein muss. Trotzdem hatte ich eine kleine Vorahnung, was passiert sein könnte – vor nun fast zwei Jahren war in meiner Familie ein Unglück passiert. Meine Mutter hatte einen Tumor bekommen. Anscheinend, haben die Ärzte gesagt, gab es diesen schon länger, doch genau ab dann ging ihre physische Gesundheit beängstigend schnell den Berg hinunter. Ich musste davon geträumt haben.

Ich schluckte schwer, als ich daran dachte, wie schlimm es ihr momentan ging. Aber warum der Albtraum? Ich hatte nicht selten Albträume, doch so schlimm, dass ich sogar geblutet hatte? Das konnte nicht sein. Nachdenklich stand ich auf. Schlafen konnte ich sowieso nicht, und ausserdem war meine Kehle steintrocken. Ich musste dringend etwas trinken. Also ging ich die Treppe hinunter, meine Gedanken noch bei dem vorherigen Ereignis, und versuchte, mich im Dunkeln zurechtzufinden. Leider funktionierte das noch nicht so gut, da ich neu hierhergezogen war, und vor allem, weil es Dunkel war. Triumphierend schlug ich eine Tür auf. Wenn ich mich recht erinnerte, war das hier die Küche. Dann zögerte ich. Oder war das womöglich doch das Schlafzimmer meiner Mutter? Ich dachte kurz nach, und da erinnerte ich mich; die Küche war eine Tür nebenan, also musste ich hier tatsächlich falsch sein. Verärgert darüber, dass ich falsch gelegen hatte, wollte ich die Tür schon wieder schliessen, als ich einen erstickten Laut hörte. Mein Gesicht verlor die Farbe, meine Hände versteiften sich, und langsam regte sich Übelkeit in mir. Hatte ich diesen Laut wirklich gerade gehört? Was, wenn das meine Mutter war?

Panisch stoss ich die Tür ganz auf, und tastete sofort nach dem Lichtschalter, während ich immer und immer wieder in Gedanken murmelte: «Alles ist gut, alles ist gut» Als das Licht an war, entdeckte ich meines Entsetzens genau das, was ich erwartet hatte: Meine Mutter sass keuchend am Boden. Ihr Gesicht war blass wie der Mond, und ihre Hände zitterten. Sie versuchte erstickt Worte herauszubringen, doch ich sagte ihr schnell, sie sollte sich nicht anstrengen.

Meine Hände zitterten ebenfalls, und einige Tränen schlichen sich in meine Augen. Genauso wie im Traum. Ich zögerte kurz, mein Gesicht wurde noch blasser. Der Traum! Was, wenn der Traum in Wirklichkeit eine Warnung gewesen war? Was, wenn ein Teil von mir das vorhergesehen hatte?

Als ich wieder zu meiner Mutter blickte, erwachte ich aus meiner Art Starre und wischte den Gedanken beiseite. Nun stand Hilfe an erster Stelle – doch wie sollte ich ihr helfen? Fast schon zu verzweifelt sah ich mich nach dem Telefon um, um den Notarzt zu rufen. Warum musste ich ausgerechnet heute allein mit meiner Mutter sein! Meine Mutter sass ungewöhnlich still in der Ecke da. Ich bekam noch mehr Angst, doch sie war noch da. Ging es besser? Ich rief den Notarzt. Es fiel mir recht schwer, ruhig zu bleiben, und meine Hände zitterten unglaublich fest, genauso wie meine Stimme. Warum musste das passieren?

Als ich aufgelegt hatte, hatte ich keine Ahnung, was ich tun sollte. Sollte ich einfach bei ihr sein? Ihr ihre Medikamente reichen? – doch das konnte ich nicht, da ich nie richtig aufgepasst hatte, als sie mir erklärte, was sie brauchte. Ich umarmte meine Mutter, wir weinten beide. Sie hatte sicher unglaubliche Schmerzen in ihrem Kopf. Wie das wohl war? Wie es ihr nun ging? Wir sassen beide nun da, weinend und hoffnungslos. Das Ganze war so schnell passiert. Ich fragte mich, was passiert wäre, wenn ich diesen Albtraum nicht gehabt hätte. Ich dankte ihm im Stillen, auch wenn es mir absurd vorkam. Lieber sollte ich mich um meine Mutter kümmern, statt darüber nachzudenken.

Ängstlich umklammerte ich ihre schweissnassen Hände. Ich lehnte mich an sie, betete im Stillen, dass alles gut ausgehen würde. Doch ihr schien es nicht besser zu gehen, und langsam verliess mich die Hoffnung. Was hatte ich denn erwartet? Dass es ihr wieder gut ging? So einfach war das nicht. Doch als im Hintergrund Sirenen erklangen, keimte kleine Hoffnung in mir auf. Ich sah zu meiner Mutter; sie schluchzte nicht mehr. Ging es ihr besser? Ich brachte ein Lächeln zustande, als ich sah, wie sie aufatmete. Fast geschafft. Die Hoffnung kehrte nach und nach zurück. Vielleicht war doch nicht alles verloren. Zusammen konnten wir das doch ganz bestimmt schaffen, oder? Gemeinsam konnten wir alles meistern. Alles würde besser werden. Niemals wieder sollte ich so stark zweifeln, die Hoffnung war immer hier. Man musste sie bloss finden.

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