"Gefallene Helden" – eine Geschichte von Louise Wirz - Young Circle

«Gefallene Helden» – eine Geschichte von Louise Wirz

Member Stories 2022

«Gefallene Helden» – eine Geschichte von Louise Wirz

Im Gang sind Schritte zu hören. Sie kommen immer näher und näher und schliesslich wird mit einem lauten Krachen die Türe samt dem Regal, welches davorsteht, an die Wand geknallt. Ich sehe zu, wie die unmenschliche Kraft des Vampirs, welcher in den Raum schreitet, die Türe aus der Angel gerissen hat und das Holz des Regales unter dem Gewicht zersplittert.

Blut tropft von der Klinge auf den Kellerboden. Es kling wie Wasser, doch die rote Flüssigkeit riecht nach Metall. Meine zitternden Hände sind blutverschmiert und ich muss mein Würgereflex unter Kontrolle bringen. Wie konnte das passieren? denke ich panisch. Mein Blick ist auf die Frau vor mir gerichtet. Ihre braune Haut wird von wilden, schwarzen Locken eingerahmt und dunkle Augen sehen mich in dem schummrigen Licht so entsetzt an, dass ich diesen Anblick niemals vergessen werde. Ihre Hände versuchen die Blutung der tödlichen Wunde zu stoppen, doch sie driften immer wieder weg. Sie ist wackelig auf den Beinen und stolpert mehrmals, bis sie schliesslich fällt. Meine wunderschöne Freundin blieb am Boden liegen. Sie sieht mich so an, als sei ich ein Monster. In ihren Augen ist bloss Angst und Schrecken zu erkennen und nicht einen Hauch von der Liebe, die wir geteilt haben.
«Wie…so?», heult sie unter ihren Tränen. «I…ch dachte d- du liebst m- mich, Ma…ddy…»
Wie automatisch will ich sagen, dass es stimmt. Dass ich sie liebe und ihr niemals etwas antun würde. Ich will ihr sagen, dass mein Herz genau wie ihres Blutet und ich niemals ohne sie leben könnte, doch etwas hindert mich daran. Blosse Verwirrung, Überzeugung und Trauer überkommt mich. Es musste getan werden. Es musste getan werden. Ich wiederhole mein Mantra so oft, bis ich sehe, dass das Leben aus dem Körper der Liebe des Lebens weicht und ich nun das einzige Wesen hier unten bin. Ich gehe neben Cléo in die Hocke und streiche ihr zitternd die verirrten Strähnen aus dem Gesicht.
«Ich habe bloss versucht, dich zu retten. Ich hätte dir sonst niemals etwas angetan. Es musste getan werden, denn diese Welt und diese Vampire…du bist viel zu gut für sie. Wenn ich dich jetzt nicht gerettet hätte, wärst du in den Fängen eines Vampirs gelandet und du hättest das Leben nie mehr so gesehen, wie zuvor», flüstere ich mich brechender Stimme. «Darum verzeih mir, Cléo. Bitte…» Bei dem letzten Wort rinnen mir die Tränen ungestört über das Gesicht und leichter Zweifel überkommt mich. Was wäre, wenn ich diesen Schritt nicht getan hätte?
Dann würde sie unendliche Qualen leiden und niemals wieder einen Funken Glück empfinden
.
Im Gang sind Schritte zu hören. Sie kommen immer näher und näher und schliesslich wird mit einem lauten Krachen die Türe samt dem Regal, welches davorsteht, an die Wand geknallt. Ich sehe zu, wie die unmenschliche Kraft des Vampirs, welcher in den Raum schreitet, die Türe aus der Angel gerissen hat und das Holz des Regales unter dem Gewicht zersplittert.
Angst ergriff von mir Besitz mich, doch ich versuche mich zu beruhigen. Ich habe gewusst, dass es irgendwann einmal so weit sein wird. Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, erhebe ich mich und versuche mein Zittern unter Kontrolle zu bringen. Wenn ich das hier nicht überstehe, habe ich Cléo umsonst gerettet.
«Königin Magdalena, Herrscherin der Vampire», sagt der Vampir mit eiskalter Stimme zu mir. «Ich werde Euch nun zurück zu Eurem König zurückbringen.» Seine Worte sind nicht misszuverstehen, trotzdem bin ich überrascht, als er mich mit einem schmerzhaften Griff mit sich zerrt. Er hat mich nicht zu Wort kommen lassen. Wieso auch? Ich kann nichts gegen seinen Beschluss tun.
Mit unendlicher Trauer schaue ich das letzte Mal zu Cléo’s Leiche, die einfach dort liegen bleibt. Mein Herz bricht, als mir bewusstwird, dass ich es durchgezogen habe und meinen einzigen Schwachpunkt aus meinem Leben verbannt habe. Ich habe Cléo vor der Brutalität gerettet, die sie als Mensch niemals ohne Qualen überstanden hätte, doch gleichzeitig habe ich mich selbst gerettet. Wenn man nichts mehr zu verlieren hat, kann man die Welt besser retten.
Als der Blutmond von den Wolken freigegeben wird, werde ich zurück in meinen goldenen Käfig gesperrt. Mein Mann erwartet mich bereits, riss mich von dem fremden Vampir los und küsst mich aggressiv. Am liebsten würde ich mich übergeben, doch Vampire können solche menschlichen Dinge nicht tun. Ich ertrage diese Folter. Ich darf keine weiteren Zweifel erwecken, denn seit dieser Nacht beginne ich die Herrschaft der Vampire von innen heraus zu zerstören. Es braucht drei Jahre, bis ich meinen Mann umbringen kann und weitere zwei Jahre, bis alle wichtige Machtfiguren der Vampire verschollen sind. Die Vampirgesellschaft ist durch diese Zeit hindurch ein verängstigtes Pack, denn sie haben Angst, dass auch sie den angeblichen Fluch treffen wird.
Dann kommt die Nacht, auf die ich gewartet habe. Die menschlichen Rebellen haben genug Anhänger gesammelt und sind genug mächtig, um uns anzugreifen. Wir Vampire sind geschwächt und empfinden Furcht. Wir machen Fehler und sind auf einmal geschlagen. Asche der Verstorbenen Vampiren liegen überall verstreut auf dem Boden meines Palastes. Eine Menschenmasse hat sich um mich gebildet und ich werde mit hasserfüllten Blicken bedacht. Ich nehme es ihnen nicht übel, denn sie können nicht wissen, dass ich ihnen geholfen haben. Sie wissen nichts, diese menschlichen Wesen, die voller Blindheit jeden Vampir umgebracht haben, ohne zu erfahren, ob dieser auch wirklich angegriffen hätte. Cléo war nicht so und ich frage mich, ob ich denselben Fehler gemacht habe und die Menschen alle gleichgerichtet habe. Doch schlussendlich spielt es keine Rolle mehr, denn dies ist mein vorgeplantes Ende.
Ich gehe einige Schritte voran. «Sieh an, die Menschen haben es also endlich geschafft, die Macht wieder an sich zu reissen» Ich kann meinen Stolz in meinem toten Herzen nicht ganz ausblenden.
«Noch nicht ganz», meint die Frau vor mir mit zusammengekniffenen Augen. «Zuerst musst du Sterben, Königin der Vampire
Ich lächle zufrieden, was sie zu verwirren scheint, doch es macht nichts aus, denn ich bin bereits in ihre Falle gelaufen. Sonnenlicht strömt in den Palast hinein und bewegt sich immer schneller auf mich zu. Die Menschen versuchen mich abzulenken, doch ich will gar nicht ausweichen. Mein letzter Gedanke, bevor ich alle den anderen Vampiren folge, gilt Cléo.
Ich habe meine Pflicht getan und kann dir jetzt endlich das Leben ermöglichen, welches du verdient hast. Wenn ich es geschafft habe, dass wir beide wieder das Licht der Welt erblicken, wird alles gut.

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