Es ist gar nichts passiert. Es ist ja auch ein ganz normaler Tag. Nur das grüne Haus ist nicht mehr da.
Zwischen Niederrohrdorf und Fislisbach fährt der Bus der Linie 322 auf der Hiltibergstrasse. Es ist nichts Besonderes an ihr. Sie schlängelt sich durch zwei Felder, bis Niederrohrdorf anfängt und sich hübsche Einfamilienhäuser an ihrer linken Seite aneinanderreihen. Die erste Reihe an der Strasse ist natürlich nicht die einzige. Dahinter stehen noch zwei, an die denke ich aber nicht so gerne.
Es ist auch nicht so, als würde ich oft an sie denken. Deshalb ist es ja auch keine grosse Sache, dass das grüne Haus in der ersten Reihe abgerissen wurde. Aber jetzt sieht man halt das Blaue dahinter.
Ich wollte hier nicht lügen, aber zu sagen, wie oft ich an das blaue Haus in der zweiten Reihe denke wäre jetzt wirklich peinlich. Also sag‘ ich’s einfach nicht.
Es ist ja auch nichts Besonderes daran. Es ist nur seins. Ich war nicht mal drin. Der einzige Grund, wieso ich überhaupt weiss, dass er dort wohnt, ist durch die Schule. Der Vortrag, den er darüber gehalten hat, wie nachhaltig ihr Haus sei, obwohl es in den 70ern gebaut wurde. Ehrlich gesagt hatte ich es fast vergessen. Aber es ist dieser verdammte, fröhliche Blauton. Man kann ihn nicht übersehen. Nicht, wenn kein verdammterer, fröhlicherer Grünton davorsteht.
Aber das grüne Haus ist nicht mehr da. Der Blick auf die zweite Reihe ist perfekt. Und dass ich sein Haus sehen kann, ändert nichts daran, dass er mich nicht sehen will.
Also fahre ich dran vorbei und sage mir selbst, dass ich einfach am Dorf interessiert bin. Tue so, als hätte ich deshalb in Richtung der Baugrube gestarrt.
Zu Hause koche ich. Ich koche Pad Thai und denke daran, wie er mir erklärt, was Tamarindenpaste ist.
Dann der Abwasch. Damit die Erinnerung, wie ich ihm sage, dass man Karamell am besten aus dem Topf bekommt, indem man es mit mehr Wasser nochmal aufkocht. Er, der mir erzählt, dass er das schon weiss. Dass er das gelernt hat, als er für mich gebrannte Mandeln gemacht hat.
Endlich ins Bett. Nur mein Handy check ich noch ein mal. Obwohl er sowieso nicht geantwortet hat. Genau wie jeden Tag in den letzten acht Monaten.
Nächster Morgen, nächste Busfahrt. Wieder in der 322. An der Lücke vorbei, wo das grüne Haus sein sollte. Es wird Monate dauern, bis dort wieder etwas steht.
Meine Playlist läuft weiter. Stoppt nicht im Gleichtakt zu meinem Atem. Love will tear us apart. Ein Bild von seinen Augen, während ich ihm den Song zum ersten Mal zeige. Eisblau. Eiskalt. Umgeben von tausend Sommersprossen.
Angekommen in Baden. Umsteigen auf die S12. Es dauert gar nicht lange, nur drei Minuten bis Wettingen. Gott sei Dank muss ich nicht bis nach Zürich fahren! Das wären 30 Minuten. Er muss das. Jeden Montag und Dienstag. Bis in die Berufsschule. Dieselbe, in die mein Bruder geht. Wäre er mir noch irgendwie wichtig, würde ich meinen Bruder fragen, ob er mit ihm reden könnte. Aber das ist er ja nicht. Und es ist auch gar nichts passiert. Nur das grüne Haus ist eben nicht mehr da.
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