"Ein Brief" – eine Geschichte von Stella Flury - Young Circle

«Ein Brief» – eine Geschichte von Stella Flury

Member Stories 2022

«Ein Brief» – eine Geschichte von Stella Flury

So würde ich gerne wissen, was Sie fühlen, wenn Sie diesen Brief hier lesen. Ich frage Sie das als das Mädchen, dass Ihr Wein auf Ihnen verschüttete.
Wissen Sie, manchmal quält mich die Frage, ob wir, wenn wir uns unter anderen Umständen getroffen hätten,
ein Liebespaar wären…

Ein Brief an den Mann der stehen blieb um die Farben einer
Hagebutten Staude zu bewundern

Lieber Herr X,
Nach langem Überlegen denke ich, ich schreibe Ihnen.
Meinem Mann geht es gut. Demnächst werde ich heiraten. Wir sind nun seit einigen Wochen an der Südsee Küste. Da ich endlich die Zeit habe möchte ich ihnen schreiben. Vielleicht erinnern Sie sich nicht mehr an mich, was schade wäre. Nun ja, ich war die Frau, die Sie letzten Sommer aus Versehen mit Weisswein überschüttete. Ich entschuldige mich vielmals dafür. Bereuen aber tu ich dies keineswegs – Nein, sonst hätten wir uns womöglich nie kennen gelernt.
Wissen Sie noch als wir über diesen sonderbaren
Traubenzweig sprachen? Wie er doch eine Lampe hätte sein können oder eine Bronchie. Wahrscheinlich nicht. Nun denn, ich würde Sie gerne an unsere Hochzeit einladen.
Nein, um ehrlich zu sein brauche ich nur einen Vorwand Sie wieder zu sehen. Nie hatte ich jemals so ein spannendes und aufregendes Gespräch wie mit Ihnen. Nicht das mein Mann langweilig wäre, keineswegs aber für ihn ist ein Traubenzweig eben nur ein Traubenzweig. Verstehen Sie? Ich fühle mich einsam an manchen Tagen. Er versteht mich nicht so wie Sie es tun. Wenn ich zum Beispiel sage, dass die Farbkombinationen eines auf der Strasse stehenden Mülleimers zusammen mit der Zeitung schön wäre, schaut er mich immer so dämlich an. Er sieht es nicht.
Wenn ich dann sage das sich ein Lied nach einem grünen Dreieck anhöre sagt er immer «Jetzt hör schon auf mit dem Unfug du bist doch kein Kind mehr.» Das ist schrecklich.
Ich bin glücklich mit Ihm, verstehen Sie das nicht falsch aber ich sehne mich nach einer Unterhaltung mit Ihnen.
Ich hoffe sehr Sie an meiner Hochzeit Am 23. April anzutreffen. Als wir an jenem Tag durch die Strassen gingen und Sie sagten, dass es Ihnen schwer fällt Bücher zu lesen, weil Sie viel Zeit brauchen um den Einblick in das Gehirn des Autoren, den man beim lesen unweigerlich bekommt zu verarbeiten, wusste ich, dass Sie ein wirklich gutherziger Mensch sind. So würde ich gerne wissen, was Sie fühlen, wenn Sie diesen Brief hier lesen. Ich frage Sie das als das Mädchen, dass Ihr Wein auf Ihnen verschüttete.
Wissen Sie, manchmal quält mich die Frage, ob wir, wenn wir uns unter anderen Umständen getroffen hätten, ein Liebespaar wären.
Am besten vergessen Sie was ich da geschrieben habe, ich wollte nicht sentimental werden.
Nun ich erwarte Sie an meiner Hochzeit, das würde mich sehr glücklich stimmen.


In Liebe
Jane Marie Auclair


P.S
Falls Sie mal eine Ausstellung mit Ihren Fotografien haben sollten, lassen Sie es mich wissen. Egal wo auf dieser Welt. Seien Sie sicher, dass ich da sein werde.

«Was schreibst du da?» Fragte der Mann der neben der Frau in einem Sessel Zeitung las.

«Ach bloss einen Brief an einen alten Bekannten.» Sagte Sie

beiläufig.

«Ach so und wie ist er so? Dieser Bekannte?» Wollte er wissen.

Sie hielt einen Moment inne.

«Einer der stehen blieb um die Farben einer Hagebutte Staude zu bewundern.»

«Ein komischer Kerl also?» Er lachte.

«In gewisser Weise, ja»

«Gut dass er nicht an unserer Hochzeit sein wird. Du reichst mir völlig aus.»

«Wie recht du hast.»
Die Frau stand auf und ging in die Küche. Unschlüssig blieb Sie schliesslich stehen und warf einen letzten, leicht gequälten Blick auf den Brief, bevor Sie Ihn in den Mülleimer warf.
Ich habe nicht das recht nach all den Monaten, in denen ich es versäumte Ihm zu schreiben nun plötzlich auftauchen. Wie dumm ich doch bin, wollte Ihn auf meine Hochzeit einladen. Dachte Sie.

Ich habe einen fürsorglichen Ehemann, genau. Er hat bestimmt eine liebevolle Ehefrau. Sei seufzte. Auch wenn die Frau wusste Sie würde Ihn niemals vergessen und aufhören zu lieben, beschloss Sie es sein zu lassen. Wenn das Schicksal es wirklich gewollt hätte, wäre es anders gekommen.

Ein Mann, ende 60, sass an seinem Schreibtisch. Er hatte ein kleines Apartment in New York gemietet. Es war nicht wirklich schön aber es liess sich gut darin leben. Mit einer Hand wuschelte er durch sein zerzaustes Haar. Gedankenversunken kritzelte er auf seinen Schreibtisch.
Es sind nun 12871 Tage vergangen seit er damals einer Frau begegnet war, die er bis heute nicht vergessen konnte. Ihr rotes Haar, ihr strahlendes lächeln und dieses eine Gespräch über einen Traubenzweig. Sie hatte ihm damals versprochen Sie würde Ihm einen Brief schreiben. Doch es kam bis heute nie ein Brief an.
Er hätte Ihr geschrieben, wusste Ihre Adresse aber nicht.

Jane liebste, dachte er,
dass muss ein wirklich langer Brief sein den du da schreibst.

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