Verzweifelt tastete ich sein Handgelenk nach einem Puls ab.
Die Leiche meines Chefs lag bäuchlings vor seinem Bürotisch. Von einer Welle der Übelkeit überrollt, löste ich meine Finger vom Handgelenk des Mannes und rutschte auf den Knien nach hinten, bis ich das Tischbein kühl an meinem Rücken spürte.
Irgendjemand musste ihn umgebracht haben. Einige der Blätter auf dem Pult waren wild durcheinandergebracht und es sah es aus, als ob er versucht hatte, noch irgendwie vor seinem Mörder zu fliehen.
Doch da ich gerade eben seine Haut berührt hatte, befand sich nun meine DNS auf ihm, was keine gute Ausgangslage für mich bedeutete, falls die Polizei hiervon erfuhr.
Erst recht nicht, wenn man die Kündigung, die ich vor einer Stunde von ebendiesem Mann bekommen hatte, mit einbezog.
Ausserdem war ich mir ziemlich sicher, dass ich, abgesehen vom Mörder, die letzte Person war, die Kontakt zu ihm hatte und die meisten Angestellten bereits nach Hause gegangen waren.
Kalter Schweiss bildete sich auf meiner Stirn. Schliesslich kam ich zum Entschluss, dass ich nur eine Möglichkeit hatte:
Ich musste meinen Chef von hier wegschaffen und jegliche Beweise beseitigen.
Nachdem der Entscheid gefällt war, erhob ich mich hastig und begab mich zur Tür, um die nötigen Utensilien zu holen, die ich für meine Aktion brauchte.
Es sprach für mich, dass ich bereits so lange in diesem Unternehmen tätig war, dass ich genau wusste, wo sich der Schlüssel des Putzinstituts für den Abstellraum befand, wo sich hoffentlich finden liess, was ich benötigte.
Mit beinahe manischer Effizienz kehrte ich wenige Minuten später in das Büro meines Ex-Chefs zurück, vorsichtig darauf bedacht, auf dem Weg niemandem, der um diese Uhrzeit noch hier sein könnte, zu begegnen.
Zurück im Büro blieb ich einen Augenblick lang stehen und nahm einen tiefen Atemzug.
Ich streifte mir ein paar der Gummihandschuhe über und machte mich daran, den Servierwagen, auf dem er sich immer seinen Frühstückskaffee und ein Croissant bringen liess, neben den leblosen Körper zu schieben.
So gut es ging, hievte ich ihn auf die unterste Etage und nutzte anschliessend das Tischtuch, um das, was ich transportierte, so gut wie möglich vor allfälligen Blicken zu schützen.
Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit auf den Flur hinaus spähte, um mich zu vergewissern, dass mich niemand bei meinem Vorhaben beobachten konnte, schob ich den Servierwagen zügig durch den Gang und stiess die angehaltene Luft erst wieder aus, als sich die Aufzugstüren schützend hinter mir schlossen. Ich hatte mir bereits Gedanken darüber gemacht, wo ich den Körper verstecken könnte, ohne dass ihn jemand finden würde, was mir nun erheblich Zeit sparte.
Sobald sich der Aufzug öffnete, machte ich mich zur Hinterseite des Gebäudes auf, bei der es einen kleinen Lüftungsschacht gab, der schon lange leer, gut vor Blicken geschützt und gross genug war, um einen Menschen darin zu verbergen.
Sorgfältig rollte ich den Körper in die Einbuchtung in der Wand.
Eine Stunde später war der Servierwagen erneut da wo er sein sollte und der Boden war erfolgreich aufgeputzt.
Erleichtert trat ich aus der Tür des Tatorts und machte mich auf den Weg den Gang hinab, als mir wie aus dem Nichts meine Arbeitskollegin Alexandra entgegenkam. Zitternd schenkte ich ihr ein Lächeln. “Dominique, was machst du denn noch hier?”, fragte sie, bevor ihr Blick zu meinem Hemdärmel wanderte und dann verwirrt meine Augen fand. Entsetzt stellte ich fest, dass sich dort immer noch ein ziemlich grosser Blutfleck befand.
Fieberhaft ging ich in meinem Kopf eine passende Erklärung durch, bevor ich unbeholfen mit den Schultern zuckte. “Nasenbluten», und schob dann schnell noch, “Deshalb bin ich auch immer noch hier, es wollte kaum aufhören.”, nach.
Alexandra schaute mich einen Moment lang mitfühlend an, bevor sie mir einen schönen Abend wünschte und ich endlich fliehen konnte.
Zuhause schälte ich mich aus meiner Arbeitskleidung und liess mich anschliessend erschöpft auf mein Bett fallen, konnte jedoch die ganze Nacht kein Auge zutun. Die Angst, etwas übersehen zu haben, allgegenwärtig.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich so elend, dass ich kurzerhand beschloss, mich krank zu melden, wobei mir einfiel, dass ich gestern ja die Kündigung erhielt. Bei allem, was danach passiert war, hatte ich gar nicht mehr daran gedacht.
Kurz vor dem Mittag erhielt ich einen Anruf von einer unbekannten Nummer. Zögernd hob ich ab und liess mein Smartphone Sekunden später fast fallen, als sich herausstellte, dass der Anruf vom örtlichen Polizeiposten kam und sie mir erklärten, dass ich doch aufs Revier kommen sollte.
Dort angekommen, strich ich meine schwitzigen Hände an meiner Jeans ab, bevor ich mit zitternden Fingern die Türklinke ergriff und ins Innere des Gebäudes trat.
“Frau Baumann, schön, dass Sie es einrichten konnten.”, empfing mich ein schlaksiger Offizier in den Fünfzigern. “Sicher doch.”, antwortete ich schnell.
Er stellte sich als Herr Vogel vor und bedeutete mir mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Ich tat wie geheissen und wenig später sassen wir uns in einem kleinen Raum gegenüber. “Nun gut, kommen wir gleich zur Sache.”, meinte er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. “Ich habe ihn nicht umgebracht!”, sprudelte ich unüberlegt hervor und verfluchte mich im selben Moment dafür. “Natürlich nicht.”, erwiderte der Polizist mit verwirrter Miene. “Ich wollte Sie gerade darüber unterrichten, dass wir Ihren Arbeitgeber Herrn Schumacher heute Morgen tot in seinem Auto aufgefunden haben. Er hat sich gestern Abend das Leben genommen.”
Ich starrte ihn an, unfähig, die Worte zu verarbeiten. Herr Schumacher konnte unmöglich in seinem Auto sein – ich hatte seine Leiche gestern hinter dem Firmengebäude versteckt.
Ausser… Jemand hatte die Leiche nach mir aus der Nische geholt und ich mich mit meiner kopflosen Aussage gerade zur Hauptverdächtigen gemacht.
Hier geht es zu den weiteren Member Stories: