"Die Mondstadt" – eine Geschichte von Selina Herzog - Young Circle

«Die Mondstadt» – eine Geschichte von Selina Herzog

Member Stories 2022

«Die Mondstadt» – eine Geschichte von Selina Herzog

Auf dem Mond gab es bei der Ankunft der Überlebenden der Menschheit fünf Familien, die aus unerklärlichen Gründen magische Kräfte erhielten. Feuer, Wasser, Luft, Erde und Energie. Diese fünf Familien rissen die Macht der Mondstadt an sich und erliessen ein Gesetz, das besagte, dass nur diese fünf Familien Magie-Berechtigte seien und alle anderen eine Gefahr für das Überleben der Menschheit darstellten.

Melinda rannte durch den langen Flur und blickte hektisch zurück. Die Wachen folgten ihr unerbittlich, und sie holten immer weiter auf. Energisch warf sie sich ihr hüftlanges, braunes Haar über die Schulter und sprintete wieder schneller. Seit sie in Altona erwischt wurde, wie sie ihre Wasserkräfte einsetzte, hatten die Wachen sie schon bis nach Cedrella gejagt. Die Mondstadt war in drei Stadtteile aufgeteilt; Altona, in dem die Regierung und die Magie-Berechtigten wohnten, Bellona in dem die besser bezahlten Arbeiter wohnten und Cedrella in dem die Reinigungsleute und die Armen wohnten. Cedrella war bekannt dafür Verbrechern und unberechtigten Magiern Unterschlupf zu gewähren.
Melinda war die Tochter eines Chirurgen und wohnte in Bellona. In Cedrella kannte sie sich überhaupt nicht aus. Als sie um eine Ecke sprintete, sah sie, wie ein junger Mann gerade einen Raum betrat. So schnell sie konnte schlüpfte sie hinter ihm her, dann schlug sie die Tür hinter sich zu.
«Aha?» Vor Melinda stand der junge Mann. Seine schulterlangen, blonden Haare hatte er halb zu einem Knoten hochgesteckt, wobei ein paar vereinzelte Strähnen in sein Gesicht hingen. Seine Augen waren topasblau und wurden von langen, schwarzen Wimpern umrandet.
Melinda atmete schwer, so lange war sie noch nie am Stück gerannt.
«Ich-«, sie wollte gerade erklären, wer sie war, als sie sich erst so richtig bewusst wurde was gerade geschehen war. Man hatte sie erwischt. Sie hatten herausgefunden, dass sie Wasserkräfte hatte. Da ihre Eltern beide keine Magier waren, war dies ihr Todesurteil.
Auf dem Mond gab es bei der Ankunft der Überlebenden der Menschheit fünf Familien, die aus unerklärlichen Gründen magische Kräfte erhielten. Feuer, Wasser, Luft, Erde und Energie. Diese fünf Familien rissen die Macht der Mondstadt an sich und erliessen ein Gesetz, das besagte, dass nur diese fünf Familien Magie-Berechtigte seien und alle anderen eine Gefahr für das Überleben der Menschheit darstellten. Und das Überleben der Menschheit zu sichern war das einzige Ziel der Mondstadt. Denn als vor genau 587 Jahren der Weltuntergang anbrach konnten sich zweihundert Menschen in Spaceshuttles retten und sich auf den Mond flüchten, auf dem, für genau diesen Zweck, die Mondstadt gebaut wurde. Man erzählte sich, dass die fünf Familien ihre Kräfte beim Weltuntergang erhielten. Als auch der letzte Tropfen Erdöl aus der Erde gepumpt wurde, hatten die tektonischen Platten zu viel Bewegungsfreiheit und bewegten sich deshalb viel heftiger als jemals zuvor. Die Folgen waren fatal. Neugebildete Vulkane und Vulkanausbrüche, Tsunamis und schlimmere Erdbeben als je gemessen wurden. Von den insgesamt neun Milliarden Menschen konnten sich nur zweihundert retten.
«Nun? Wer bist du? Ich bin Jack. Jack Furillo» Jack deutete eine Verbeugung an. «Melinda Chase» Jack lächelte sie verschmitzt an. «Und was hast du angestellt, dass du auf der Flucht vor den Wachen bist?» Melinda seufzte, woraufhin Jack grinste. «Weisst du, ich bin auch auf der Flucht.» Erwartungsvoll sah er sie an. «Ich habe Wasserkräfte», flüsterte sie. Jacks Lächeln wurde breiter. «Ich habe Feuerkräfte» Melinda blinzelte eine Träne aus den Augen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie nie irgendjemandem von ihren Kräften erzählt und sie spürte, wie ihr eine grosse Last von der Schulter fiel. Es tat gut mit jemandem darüber reden zu können.
«Feuerkräfte? Und der Rat weiss von dir?» Jack nickte. «Allerdings wissen sie nichts von meinen Fähigkeiten. Aber sie haben herausgefunden, dass ich-« Ein lautes Klopfen unterbrach ihn. «Aufmachen! Auf Befehl des Rats- Aufmachen!» Jack atmete scharf ein. «Melinda Chase: Du musst dich hier und jetzt entscheiden. Kommst du mit mir zur Erde, oder bleibst du hier auf dem Mond und wirst zum Tode verurteilt?» Jack hielt ihr seine Hand hin. Und Melinda ergriff sie. Obwohl, er wollte zur Erde? Fragen schossen ihr durch den Kopf wie die Kometen, die sie alljährlich bestaunen konnten. Die Erde war, den Forschern nach, immer noch unbewohnbar. Und wie wollte Jack überhaupt zur Erde gelangen?
Doch sie vertraute Jack. Und das obwohl sie sich erst wenige Minuten lang kannten.
Als erneutes Hämmern die Tür erzittern liess, zog Jack sie in einen Wandschrank hinein. Dort zog er sie durch eine Reihe von Jacken und eine Treppe hinunter ins Dunkle. Irgendwann erschien vor ihm eine Flamme, die den Weg beleuchtete. Die Wände waren schmutzig und es klebten Neonröhren an der Decke. Das mussten die Wartungsgänge sein, die tief unter der Stadt lagen. Jack zog sie immer weiter. Er wusste haargenau wo sie hinmussten und zögerte an keiner einzigen Ecke oder Kreuzung. Sie passierten Türen, Räume und Gänge. Irgendwann stiegen sie eine Treppe hoch und was Melinda dann sah, verschlug ihr den Atem. Da war eine Rakete.
Sprachlos starrte sie Jack an.
«Jaaa, also das ist der Grund, weshalb der Rat nach mir sucht. Ich habe eine Rakete gebaut.»
Melinda blinzelte ihn fragend an.
«Mein Grossvater hat in der Forschungsabteilung in Bellona gearbeitet. Er war davon überzeugt, dass die Erde wieder bewohnbar ist. Als ich dann meine Feuerkräfte zum ersten Mal nutzte, musste ich ihm versprechen, dass ich auf die Erde fliehen würde. Und wenn du willst, Melinda, dann kannst du mitkommen» Zur Erde. Er wollte allen Ernstes zur Erde fliegen. Jeder hier in der Mondstadt träumte davon, eines Tages den Mond von weitem zu sehen und nicht die Erde.
«Ich- Also. Ja, ich komme mit dir» sagte Melinda, in deren Bauch es zappelte. Und diese Antwort zauberte ein Funkeln in Jacks Augen, das sie nicht so ganz zuordnen konnte.
Jack öffnete die Tür der Rakete und bot Melinda, ganz der Gentleman, seine Hand als Hilfe an. Sie lächelte und liess sich ins Innere helfen. Es gab vier bequem aussehende Sitze und einen riesigen Bordcomputer. Jack schloss gewissenhaft die Tür und half Melinda dann sich anzugurten. Als der Countdown begann sahen sie sich tief in die Augen. Melinda ergriff seine Hand- dann schossen sie durchs Weltall. Zur Erde. Die ersten Menschen seit über fünfhundert Jahren.

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