Der silberne Edelstein im Diadem spiegelte das Mondlicht, während ich es vorsichtig ins Gras legte und einige Worte murmelte. Worte, die hoffentlich die Göttin erreichen würden, deren Opfergabe ich gerade vor den grössten Baum des ganzen Waldes gelegt hatte. Langsam erhob ich mich wieder, ohne den Blick vom Edelstein im Diadem zu nehmen. Die letzten Tage hatte ich damit verbracht es zu machen. Nur für sie. Und ich hoffte so sehr, dass sie es finden würde.
Der Bus, in dem ich am nächsten Tag sass, schien verlassen. Was mir mehr als komisch vorkam, normalerweise waren um diese Uhrzeit viele Leute unterwegs. So viel mehr als mir lieb war. Als ich meinen Blick vom Inneren des Buses zurück aus dem Fenster und somit direkt zum Wald einige Meter entfernt schweifen liess, kehrten die Erinnerungen an die letzte Nacht zurück. Und ich musste mich zurückhalten nicht auf den Knopf zu drücken, der symbolisierte, dass ich bei der nächsten Haltestelle, nur einige Meter vom Weg, der direkt in den Wald führte, aussteigen wollte. Ich redete mir selber ein, dass ich es spüren würde, wenn die Göttin meine Opfergabe finden würde.
Tief luftholend versuchte ich die seltene Ruhe, die sich mir gerade bot, zu geniessen, denn ich wusste wie schnell sie wieder zerstört werden würde. Spätestens wenn ich wieder Zuhause sein würde. Zuhause, welches noch nie eines gewesen war und nie eins werden würde.
Während ich versuchte mich mit anderen Gedanken abzulenken, merkte ich erst spät, dass der Bus angehalten hatte und sich die Türen öffneten. Kurz zweifelte ich an mir und fragte mich, ob ich doch, vollkommen Gedankenverloren, wie so oft, den Knopf gedrückt hatte.
Genau in dem Moment rissen mich leichte, leise, fast schon katzenartige Schritte aus den Zweifeln. Um in der Spiegelung des Fensters, auf das die Sonne gerade niederbrannte, etwas zu sehen, kniff ich die Augen zusammen. Der unscharfe Umriss eines jungen Mädchens war eingestiegen. Und gerade als ich abwehrend meine Arme verschränken wollte, setzte sie sich auf einen Platz mir gegenüber. Der ganze Bus war leer! Warum setzte sie sich ausgerechnet zu mir? Was verstand sie an meiner, mehr als ablehnenden, Körpersprache denn nicht? Ich erlaubte mir dem etwa 11 Jährigen Mädchen einen kurzen Blick zuzuwerfen. Und was ich sah, liess mich an meinem Verstand zweifeln. Auf ihren kastanienbraunen Haaren, die in einem lockeren, fast unordentlichen Zopf über ihre Schulter fielen, trug sie… Ja, genau das Diadem, welches ich gestern in den Wald gebracht hatte. Ich spürte heisse Wut in mir hochkochen. Ich hatte noch befürchtet, dass jemand es klauen könnte. Ich hatte es befürchtet. Und gleichzeitig hoffte ich schon, dass die Göttin mir nicht böse sein würde. Die Angst darüber, dass ich sie enttäuscht hatte wuchs und wurde innerhalb weniger Sekunden fast unerträglich. Sie war meine einzige Stütze. Und ich wollte ihr endlich etwas dafür zurückgeben, wie sehr sie mir Kraft gab. Ich kniff die Augen leicht zusammen und wollte nun meinen Blick gar nicht mehr abwenden. Das Mädchen sollte wissen, dass ich wütend auf sie war. Sie erwiderte den Blickkontakt sogar, und das Schlimmste war.. lächelnd. Ein leichtes, für mich fast schon überheblich wirkendes Lächeln lag auf ihren Lippen. Und zu allem Überfluss konnte ich nicht leugnen, dass sie hübsch war. Trotz den sechs Jahren, die ich älter zu sein schien, fühlte ich mich ihr so unterlegen. Was mich auf eine komische Art hilflos zu machte. Seufzend, was sie dazu brachte ihre hellen Augen leicht zusammenzukneifen, wendete ich mich wieder ab, jedoch nicht, ohne sie in der Spieglung des Fensters weiter anzusehen. Ich wusste einfach, dass sie das Diadem geklaut hatte. Ihre einfachen Kleider waren dreckig, als hätte sie nach irgendwas gewühlt und auch an ihren Händen klebte Erde. Das Diadem schien das Einzige an ihr zu sein, das zu ihrer Ausstrahlung und ihrer geraden Haltung passte. Der Wunsch sie zu konfrontieren wuchs. Sollte ich sie fragen wo sie es her hatte? Würde sie mir die Wahrheit sagen? Würde es überhaupt etwas bringen? Ich ahnte die Antwort schon und ich glaubte nicht daran, dass sie es mir überhaupt zurückgeben würde. Ohne es wirklich selber zu merken, drehte ich meinen Kopf wieder zu ihr. Sah sie an. Blieb an ihren Augen hängen. Selten war mir eine Person mit so hellen Augen begegnet. Umso länger ich sie musterte umso lauter wurde die Stimme, die forderte, dass ich sie konfrontierte… «Woher hast du das?», sagte ich nach einigen, viel zu langen Sekunden in denen ich versuchte zu ergründen, woher dieser Mut, sie wirklich anzusprechen, kam. Bedächtig deutete ich auf meine Arbeit, für die ich mich hatte verstecken müssen. Ansonsten hätten die anderen Kinder «zuhause» es schon lange vor diesem Mädchen geklaut.
Sie fasste vorsichtig an das Diadem und hob fragend eine Augenbraue.
«Ja. Du hast es aus dem Wald, nicht? Ich habe es da gestern Nacht nämlich hingelegt. Es war eine Opfergabe für Artemis.» Artemis, die Göttin der Jagd, des Mondes und mein einziger Trost. Ich kannte ihre Geschichten auswendig, da ich sie immer las, wenn mir mein Leben zu viel wurde. Der Bus blieb stehen, obwohl Niemand von uns Beiden den Knopf gedrückt hatte und es öffnete sich keine Tür. Der Bus hielt wie von selbst an.
«Ich weiss.» Noch beim Sprechen stand sie auf, bewegte sich jedoch nicht von der Stelle. Lächelnd meinte sie: «Ich danke dir.» Verständnislos starrte ich sie an, während sie mir ihre Hand hinhielt. Darin lag etwas silbrig glänzendes…
«Ich möchte dir etwas zurückgeben.» Wie von selbst hielt ich ihr meine Hand hin. Ohne zu zögern liess das Mädchen den Gegenstand fallen.
«Es ist mehr ein Versprechen. Ein Versprechen, dass ich weiterhin auf dich aufpasse.» Sanft schloss sie meine Hand, in der eine silberne Kette mit Mondanhänger lag.
Gerade als ich zu verstehen begann, was hier gerade passiert war, trat sie auf eine der Türen zu. Sie warf mir einen letzten Blick zu, zwinkerte fast unmerklich und lächelte. Das Letzte was ich von ihr sah, war ein silberner Schimmer in der Luft. Silbern wie ihre Augen und der Mond.
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