Es war einmal ein kleines Königreich, zwischen hohen Bergen, ganz versteckt in tiefgrünen Wäldern. Unter der Herrschaft der weisen Königin Amara lebten die Menschen zufrieden untereinander. Es gab eine jahrhundertalte Legende, die besagte, dass das Königreich nur dann sicher sei, wenn die königliche Krone, aus reinem Gold geschmiedet und mit Edelsteinen verziert, in den richtigen Händen ruhe. Würde sie jedoch gestohlen werden, so wäre das Reich dem Untergang versprochen.
Von einem Tag auf den anderen war die heilige Krone jedoch plötzlich verschwunden. Die Neuigkeit über die verschollene Krone breitete sich wie ein Lauffeuer aus, die Leute wurden misstrauisch und schon bald war das ganze Königreich in Aufruhr. Amaras Verzweiflung war überall spürbar. «Wird unser Reich ohne unsere Krone bald untergehen? Was wäre, wenn die Felder austrocknen und die Nahrung nicht mehr ausreicht? Was sollen wir nur tun? Wir müssen die Krone so schnell wie möglich finden!» Sie beschloss, alle Ritter des Landes zusammenzurufen, um nach der Krone zu suchen. Doch die Krone blieb fort, wie vom Erdboden verschluckt.
Der Winter war da, und das Land begann zu leiden. Die Felder verdorrten, und die Menschen wurden häufiger krank. Die Unsicherheit wuchs mit jedem Tag.
Während dieser düsteren Zeit lebte ein junger Mann namens Oliver in einer bescheidenen Holzhütte neben dem Wald. Sein Vater war Holzfäller gewesen und früh an einer schweren Krankheit verstorben. Auf einmal waren Oliver und seine Mutter auf sich allein gestellt, und trotz der vielen Herausforderungen hatte Oliver ein großes Herz. Er träumte davon, eines Tages die Welt zu erkunden und Grosses zu erreichen.
An einem kalten Abend wollte er im Wald Holz für sein Feuer sammeln. Überrascht traf er auf einen einsamen, alten Mann, der auf einem Baumstumpf hockte und in die Ferne starrte.
«Du suchst etwas, nicht wahr?», fragte der Alte mit rauer Stimme, ohne seinen Blick abzuwenden.
«Ja, die Krone, wie alle anderen», antwortete Oliver und musterte den alten Mann. «Sie ist spurlos verschwunden, und das ganze Land leidet darunter.»
Nun drehte sich der Mann lächelnd zu Oliver um. «Manchmal sucht man an den falschen Orten. Die Antwort liegt oft näher, als man denkt.»
Neugierig, aber auch verwirrt, was der alte Mann meinen könnte, machte sich Oliver auf den Weg nach Hause. Mit einem unruhigen Gefühl ging er schlafen und fiel in einen seltsamen Traum.
Er stand vor dem Königsschloss, um sich herum lachten und plauderten die Menschen fröhlich. Das Königreich schwelgte in Harmonie und alles war gut. Sogar Amara strahlte übers ganze Gesicht und zu seinem Erstaunen gab es keine Krone: Nur das Volk und eine Königin.
Sobald der erste Sonnenstrahl Olivers Schlafecke traf, war er hellwach, mit einer wichtigen Erkenntnis aus seinem bizarren Traum, die er unbedingt mit seiner Königin teilen wollte.
Er beschloss, ihr so bald wie möglich einen Besuch abzustatten.
Als er ein wenig später vor ihr stand, holte er tief Luft, bevor er sprach. «Majestät», begann er, «wir alle haben die Krone als Notwendigkeit für unsere Leben angesehen. Aber vielleicht haben wir uns … nun ja, geirrt.» Er räusperte sich. «Euer Herz, eure Führung – das ist es, was das Königreich stark macht. Vielleicht müssen wir aufhören zu glauben, dass eine Krone so eine starke Wirkung auf uns haben könnte. Wir sollen uns alle auf das, was wirklich wichtig ist konzentrieren: euch und das Vertrauen, das wir in uns selbst haben. Es war nicht die Krone, die das Königreich zusammengehalten hat. Sie war bloss ein Symbol.»
Die Königin sah Oliver lange an. Ihre Augen glänzten, und langsam nickte sie. «Du hast etwas erkannt, was vielen, einschliesslich mir, entgangen ist», erwiderte sie sanft. «In all den Jahren habe ich das Vertrauen meines Volkes nicht immer so geschätzt, wie ich es hätte tun sollen.» Sie seufzte leise. «Es nicht die Krone, die wir verloren haben, sondern der Glaube an uns selbst.»
Sobald Amara ihre Worte ausgesprochen hatte, schien das Königreich wie von unsichtbarer Last befreit. Die düsteren Wolken am Himmel begannen sich zu lichten, und nach und nach ergrünten die Felder und Blumen blühten. Die Menschen gewannen wieder Zuversicht, obwohl die Krone nie mehr auftauchte.
So lebte das Königreich friedlich weiter, dank einer Königin, die mithilfe von Oliver erkannt hatte, dass wahre Macht und Führung nicht von Gold und Edelsteinen kamen, sondern aus dem Vertrauen und der Liebe ihres Volkes.
Und der Junge, Oliver? Er wurde Amaras’ Berater, gab weise Ratschläge und stand ihr zur Seite. Doch nicht nur für die Königin selbst: Er unterstützte auch andere Dorfbewohner, und half ihnen, ihre eigenen Stärken zu erkennen.
Von da an erzählte man die Legende von der verlorenen Krone nicht mehr als eine Geschichte über Niederlage und Trauer, sondern über die wahre Stärke, die in unseren Herzen liegt.
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