Ich friere. Doch ganz egal wie viele Schichten ich überziehe, nichts vertreibt die Kälte. Denn sie kommt aus meinem Inneren. Sie wächst und haftet an meinen Knochen. Meine Fingerspitzen fühlen sich taub an. Irgendwie fremd. Als wären sie nicht die meinen, sondern die eines Unbekannten. Ich versuche zu atmen. Meine Lunge verkrampft sich. Vielleicht liegt es daran das mir das Wasser bis zu meinem Halse reicht. Ich ertrinke.
Ich kann nichts dagegen unternehmen. Ich ertrinke in der Tiefe meiner Gedanken. Für alle geht das Leben weiter. Ich selbst stoße sie von mir. Sie begreifen nicht, dass ich sie wegstoße, damit sie nicht mit mir ertrinken. Die eigene Last ist bereits zu viel, wieso sollten sie versuchen mir beim Tragen zu helfen? Doch genau das tun sie. Ich muss schwimmen.
Ich muss an die Oberfläche kommen und ich muss sie durchdringen. Aber meine Beine sind bereits zu erstarrten Eisklumpen gefroren und meine Arme schmerzen. Das Gewicht zieht mich nach unten. Es wäre so einfach. So einfach aufzugeben. Doch ich kann es nicht. Ich verzweifle an meiner Situation und Panik überkommt mich. Ich schlage wild um mich und vertreibe dabei die Wenigen, die versuchen meine Last zu teilen. Ich solle mich bemühen, mich zusammenreißen. Tue ich das nicht längst? Und wenn, es scheint nicht genug zu sein.
Die Kälte in mir nimmt zu. Leblos sinke ich zu Grund. Eisiges Wasser drängt in meine Lunge. Ich achte nicht mehr darauf. Resigniert blicke ich nach oben. Dort, wo die Sonnenstrahlen sich auf dem Wasser schneiden. Ich kann nur zusehen. Mir bleibt nicht mehr lange. Meine Augen schließen sich ganz automatisch.
Eine Hand umfasst die meine und zieht mich empor. Mit jedem Augenblick, in dem wir uns der Wasseroberfläche nähern, vergeht die Kälte. Stück für Stück. Ich spüre meine Arme. Meine Beine kribbeln. Die letzten Meter schwimme ich allein. Ich durchbreche das Wasser und nehme meinen ersten langersehnten Atemzug. Die Sonne steht tief am Horizont. Der Himmel färbt sich an einigen Stellen bereits zinnoberrot. Ein vergessenes Gefühl steigt in mir auf und vertreibt jegliche Kälte aus meinem inneren.
Irritiert blicke ich in alle Richtungen, doch ich bin allein. Ich werfe einen letzten Blick nach unten. Auf die Stelle, die als meine Grabstätte diente. Dort liegt jemand. Jemand, der ertrunken war. Wie ich. Ich muss helfen. Die Kälte bleibt dieses Mal fern, obwohl ich mich stetig dem Grund nähere. Ich spüre die Erinnerung an den kalten Sog, der mich beinahe verschluckte. Ich erkenne lange Haare. Haare, die vor langer Zeit wie gesponnenes Gold in der Sonne glänzten. Es war ein Mädchen. Noch so jung. Sie sollte nicht hier sein. Dunkel erinnert sie mich an jemanden. An wen bloß?
Ich erreiche sie. Einen Moment lang halte ich inne und betrachte sie. Ihre Augen sind geschlossen, sie trägt Schichten warmer Kleidung. Ein Schauer durchfährt mich. Ich kenne dieses Mädchen. Oder so meine ich es zumindest zu glauben. Ich erinnere mich an jede Sekunde ihres Lebens. Und da begreife ich. Niemand hat mich gerettet und niemand wird mich retten. Weil ich es selbst tun muss. Ich greife nach meiner Hand und schwimme.