Immer noch keuchend schnappte ich mir in der Garderobe meine Sachen und trat nach draussen. Der Abend war kühl und der Himmel schon dunkel und bedeckt mit Sternen. Das Training war heute besonders anstrengend gewesen und mein Kopf leuchtete wie eine rote Ampel in der Dunkelheit. Zehn Minuten Nachhauseweg kamen mir nach dieser Basketballpartie wie ein Marathon vor. Mir blieb jedoch nichts anderes übrig als mich auf den Weg zu machen.
Mein rascher Atem bildete kleine Dampfwölkchen in der Luft, die sich wie in Zeitlupe ins Nichts auflösten. Der Mond leuchtete hell vom Himmel und hätte beinahe mit einer Strassenlaterne verwechselt werden können. Abgesehen von meiner pumpenden Lunge starrte ich gelassen nach oben. Mit den Augen suchte ich den Nachthimmel ab und versuchte, ein Sternenbild zu erkennen. Nach einigen Sekunden fand ich den grossen Wagen. Ich fuhr ihm mit dem Finger nach. Plötzlich hörte ich ein leises Rascheln hinter mir.
Blitzschnell drehte ich mich um und entdeckte nahe am Boden ein paar gelbe Augen. Ich wollte schon aufschreien, da erkannte ich die Umrisse der schwarzen Katze. Erleichtert atmete ich aus und setzte meinen Weg fort. Schon nach kurzer Zeit hörte ich das Rascheln erneut. Statt panisch herumzufahren, schnalzte ich diesmal jedoch mit der Zunge, um die Katze zu mir zu locken. Nach einigen Sekunden begriff ich, dass dies nicht geschehen war und ich wandte mich um, um sie zu suchen. Erschrocken blieb ich stehen. Einige Meter entfernt stand eine dunkle Gestalt in einem grellweissen Kapuzenpullover. Alles andere war schwarz, weshalb es aussah, als würde der Hoodie besitzerlos in der Luft schweben. Das ist bestimmt nur ein nächtlicher Spaziergänger, versuchte ich mich zu beruhigen. Trotzdem fühlte ich mich unwohl und wollte lieber die Strassenseite wechseln. Doch da die Autos hier auf der Schnellstrasse zu temporeich fuhren, begnügte ich mich damit, etwas hastiger zu gehen. Es dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass die männliche Gestalt mir folgte. Seine Schritte hatten sich genau wie meine verschnellert und selbst als ich schon fast rannte, kam er in der gleichen Geschwindigkeit hinter mir her.
Angst stieg in mir hoch und breitete sich in meinem ganzen Körper aus. Meine Arme waren bedeckt von Gänsehaut und meine Beine bewegten sich automatisch immer schneller. Mein Hirn sagte im Sekundentakt: Geh weg, geh weg, geh weg! Mir war nichts lieber als das. Zu meiner eigenen Sicherheit beschloss ich, die Strasse trotz der Fahrzeuge zu überqueren. Also kam ich zum Stehen.
Diese eine Sekunde gab meinem Verfolger die Zeit, etwas aufzuholen. Plötzlich spürte ich, wie er mir von hinten in den Nacken hauchte. Meine Nackenhaare sträubten sich und ich raste los. Ohne nach links oder rechts zu sehen, sprintete ich über die Strasse. Autoreifen quietschten und ich bemerkte aus dem Augenwinkel, wie ein Auto zum Stehen kam und der Fahrer aus dem Fenster rief: „Sag mal spinnst du?“
Ohne ihm Beachtung zu schenken, spurtete ich weiter. Doch schon war mein Verfolger im weissen Pullover ebenfalls auf der anderen Strassenseite und kam mir hinterher. Ich musste ihm entkommen. Mir kam die Idee, ein Auto anzuhalten. Klar, das konnte auch gefährlich enden, doch in einer Situation wie dieser, konnte es mir vielleicht das Leben retten. Oder zumindest meine Freiheit. Während ich weiterrannte, hielt ich meine Hand auf die Strasse mit dem Daumen nach oben, in der Hoffnung, dass ein Fahrzeug mich mitnahm. Langsam ging mir wirklich die Puste aus und ich spürte, wie meine Beine schwer wurden. Lange würde ich dieses Tempo nicht mehr durchhalten können. Ich konnte nur hoffen, dass es meinem Verfolger genau so ging. Doch dieser hatte vermutlich nicht zwei Stunden Basketballtraining hinter sich.
Nach einigen Sekunden hörte ich glücklicherweise, wie ein Auto neben mir bremste und kurz darauf zum Stillstand kam. Ohne nach drinnen zu sehen, ergriff ich meine Chance, riss die Beifahrertür auf und sprang hinein. „Schnell, losfahren!“, schrie ich und knallte die Tür zu. Mein Fahrer tat wie geheissen und trat auf das Gaspedal. Der Motor brummte und wir beschleunigten. Aus dem Rückspiegel sah ich, wie der Mann im weissen Pullover langsam kleiner wurde und verschwand. Erleichtert und erschöpft, liess ich mich gegen die Sitzlehne sinken und schloss für kurze Zeit die Augen. „Ich danke Ihnen“, sagte ich anschliessend zum Fahrer und blickte ihn an.
Sofort gefror mir das Blut in den Adern. Das durfte nicht wahr sein! Ich musste halluzinieren. Niemals konnte hier, in diesem Auto, das mich gerettet hatte, derselbe Mann sitzen, der mich draussen verfolgt hatte. Es war unmöglich. Und doch war es so. Eine schwarz gekleidete Gestalt mit einem weissen Kapuzenpullover sass am Steuer und blickte stur nach vorne. Das Gesicht konnte ich nicht erkennen. Es war im Schatten verborgen und sah deshalb gleich schwarz aus wie der Rest seiner Kleidung. Nur seine Augen fielen in der Dunkelheit genauso auf wie sein Hoodie. Wie gelähmt starrte ich ihn an und sah nur, wie sich sein Mund langsam zu einem bösen Lächeln verzog.
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