"Der Schatten im Spiegel" – Eine Geschichte von Anja-Timea Arpagaus - Young Circle

«Der Schatten im Spiegel» – Eine Geschichte von Anja-Timea Arpagaus

Member Stories 2024

«Der Schatten im Spiegel» – Eine Geschichte von Anja-Timea Arpagaus

Beim Ausmisten des Dachbodens entdeckt die Protagonistin einen geheimnisvollen, verzierten Spiegel, der in ihr ein tiefes Unbehagen auslöst. Als sie sich ihm nähert, wird sie mit einem bedrohlichen Schatten konfrontiert, der ihre innersten Ängste und Zweifel widerspiegelt, und sie erkennt, dass die wahre Herausforderung darin besteht, sich selbst zu akzeptieren und ihre inneren Dämonen zu besiegen.

Staub wirbelte in der Luft, als ich den nächsten Umzugskarton öffnete. Überall lagen klebrige Spinnweben. Kartons stapelten sich zu chaotischen Türmen. Ja, es war nun wirklich an der Zeit den Dachboden auszumisten. Ich wischte mir den Schweiss von der Stirn und mit einem Seufzer packte ich den nächsten Karton aus.

Durch ein kleines Fenster fiel Licht herein und liess etwas unter einem Tuch aufleuchten. Ich wurde neugierig und trat näher heran. Vorsichtig schob ich das Tuch beiseite. Darunter entdeckte ich – einen Spiegel. Er war gross und hatte goldene Verzierungen. Mit meiner Hand wischte ich die dünne Staubschicht, die an der Oberfläche war,  weg. Ein rauer Wind wehte plötzlich durch den Dachboden. Ich bekam ein mulmiges Gefühl. Etwas war in diesem Dachboden anders. Etwas stimmte nicht. Soll ich den Spiegel mitnehmen? Ja.

Der Duft von gebratenem Gemüse füllte die Küche, während das Essen zubereitet wurde. Nach dem Abendessen wurde die Küche schnell aufgeräumt und ich machte mich auf den Weg zurück ins Schlafzimmer. Der Tag war lang gewesen und ich wollte nur noch eins, nämlich schlafen gehen. Vor dem Spiegel angekommen, bereitete ich mich für die Nacht vor und betrachtete mein Spiegelbild.

Ich schluckte.

Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich meine blasse Haut und dunkle Augenringe bemerkte. Sonst sah ich anders aus. Ich schüttelte den Gedanken ab, vermutlich war das nur Einbildung.

Doch immer wieder spürte ich das Verlangen – den Drang, zum Spiegel zurückzukehren.

Widerwillig stand ich auf und trat vor den Spiegel. Mein Spiegelbild sah mich an, regungslos. Was war wirklich mein Gesicht? Ich starrte in meinen Augen, aber es fühlte sich fremd an. Als ob etwas – oder jemand – hinter diesem Bild lauerte. Und da sah ich es.

Ein Schatten im Spiegel. Hinter mir, tief im Glas, als ob er sich im Inneren des Spiegels bewegte. Ich drehte mich um. Nichts. Nur mein leeres Zimmer. Doch als ich zurückblickte, war der Schatten wieder da, näher, bedrohlicher und diesmal bewegte er sich, obwohl ich stillstand.

Ich wollte fliehen, doch meine Beine fühlten sich schwer an. Ohne es zu merken, hob ich die Hand. Der Schatten im Spiegel machte dasselbe. Doch als sich unsere Hände fast berührten, geschah etwas, das mich erschreckte: Der Schatten lächelte.

Es war mein Lächeln.

Dann ohne nachzudenken, griff ich nach der Lampe auf dem Nachttisch und schleuderte sie mit aller Kraft gegen den Spiegel. Das Glas zersprang mit einem Knall in tausend Splitter. Ich stand zitternd da. Nur Stille. Es war vorbei.

Der Schatten war verschwunden, doch etwas in mir war klar geworden. Es war nicht der Spiegel, der mich gequält hatte, ich war es die ganze Zeit. Es waren meine Ängste und Zweifel, die ich versucht hatte zu verdrängen.

Ich trat vorsichtig über die Scherben und setzte mich auf mein Bett. Mit jedem Atemzug fühlte ich mich leichter und  befreiter. Der Schatten, der mich verfolgt hatte, war nicht mehr bedrohlich. Der Schatten im Spiegel war ein Teil von mir, aber jetzt verstand ich, dass ich ihn nicht fürchten musste.

Das war der Anfang eines neuen Kapitels – eines, in dem der Schatten im Spiegel nicht mehr über mich herrschte, sondern mich daran erinnerte, wie stark ich eigentlich bin.

Zum Glück lügen Spiegelbilder nie.

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