"Der Junge auf der Schaukel und das Mädchen mit den Brownie" – eine Geschichte von Meret Becker - Young Circle

«Der Junge auf der Schaukel und das Mädchen mit den Brownie» – eine Geschichte von Meret Becker

Member Stories 2022

«Der Junge auf der Schaukel und das Mädchen mit den Brownie» – eine Geschichte von Meret Becker

Ich sitze hier mit einem Jungen, der mir fremd ist und lasse ihn sogar einen Brownie probieren. Eigentlich möchte ich doch nur ein paar Stunden meine Ruhe haben. Aber da ist dieser Typ.

Jasper

Ich sitze auf einer Schaukel. Es ist Mitte Oktober und ich hocke allein auf dieser verdammten Schaukel, in einem verlassenen Park.

Was für eine verdammte Scheisse, wieso tue ich das? Nun, eigentlich weiss ich die Antwort: Ich kann nicht nach Hause. Also bleibe ich sitzen.

Ein kalter Wind wirbelt die rot-orangen Blätter auf. Ich fröstle. Bald wird es dunkel, aber nach Hause will ich nicht. Denn dort wartet das auf mich, was mich schon nur bei dem Gedanken daran in Rage versetz. Nun dann muss ich mir wohl überlegen, wo ich heute Nacht schlafe. Hier ganz sicher nicht. Dieser Park hat etwas Unheimliches an sich, deshalb habe ich ihn auch ausgesucht. Hier ist selten jemand, vor allem um diese Jahreszeit nicht.

Doch da sehe ich, wie eine kleine Gestalt näher kommt. In ihrer rechten Hand hält  sie eine schmale Dose.

Sie sieht aus wie eine kleine Elfe, so eingemummelt in ihre Jacke, den Schal weit nach oben gezogen. Irgendwie süss, denke ich. Verflucht wieso finde ich sie süss? Ich sollte machen, dass ich hier weg komme, bevor sie mich noch entdeckt. Was sie wohl denken wird, wenn sie sieht wie erbärmlich ich hier sitze, mit einer aufgeschlagenen Lippe und den fettig schwarzen Haaren, die mir tief ins Gesicht hängen. Ja, ich muss wohl ziemlich schlimm aussehen. Zu allem Überfluss trage ich auch noch keine Jacke, so dass man meinen mit Löchern bestückten Pullover sehen kann. Meine Sneakers sehen auch nicht besser aus. Also wieso um Himmelswillen bewege ich mich nicht, als sie näher kommt. Ich sollte mich einfach aus dem Staub machen, bevor sie mir noch blöde Fragen stellt, aber es ist als wäre ich festgefroren, gebannt von ihrer Aura, die mir so ganz klar sagt, dass sie genau ist wie ich. Traurig, zerstört. Ich muss wohl doch ein Geräusch gemacht haben, denn jetzt sieht sie mich erschrocken an und mustert mich so intensiv, als wäre ich von einer anderen Welt. „Hier ist nie jemand.“ Ich sehe sie an, wie tief ihre Stimme ist und wie kalt.

„Das ist ein öffentlicher Park, also darf ich hier sein.“ Meine Stimme klingt erstaunlich fest. Eigentlich habe ich gedacht, dass sie nicht mehr funktioniert, so lange habe ich nichts mehr gesagt.

„Das stimmt zwar, aber könntest du dich nicht vielleicht einfach verdrücken? Ich will allein sein, weinen, und Brownie essen.“ Wie zur Bestätigung schüttelt sie die Dose.

„Willst du das ja? Darf ich dir Gesellschaft leisten?“, frage ich sie.

Wütend sieht sie mich an. „Was soll der Scheiss. Ich habe dir doch klar gesagt, dass ich alleine sein will, also verpiss dich!“. Es fasziniert mich wie schnell sie wütend wird.

Belustigt schmunzle ich. „Komm schon ich bin auch ganz still und esse nur die Hälfte deiner Brownie.“ Sie will mir schon widersprechen, aber ich setze meinen liebsten Blick auf und bedeute ihr mit einer einladenden Geste sich zu setzen. Sie tut es, was mich ein wenig überrascht und sagt dann: „Aber nur dieses eine Mal.“

Was auch immer ich hier tat, tief in meinem Inneren wusste ich, dass dies eine grössere Sache war, als ich sie mir je hätte vorstellen können.

Enja

Ich sitze hier mit einem Jungen, der mir fremd ist und lasse ihn sogar einen Brownie probieren. Eigentlich möchte ich doch nur ein paar Stunden meine Ruhe haben. Aber da ist dieser Typ. Er sitzt hier und will einfach nicht weggehen. Er schaut ganz schön heruntergekommen aus, mit dem löchrigen Pulli. Irgendwie tut er mir leid, also sitze ich jetzt da mit ihm und teile meine heiligen Brownie. Nach einer Weile wird die Stille unangenehm. Also frag ich: “Wie heisst du?“

„Jetzt willst du also doch reden?“, schon wieder dieser spöttischer Ton. Ob es ihm wohl bewusst ist, wie tief seine Stimme ist? Und dass sein Kehlkopf bei jedem Satz, so wild hin und her springt, dass ich jedes mal Angst habe, dass er heraus springen könnte? Er ist eigentlich recht attraktiv. Das markante Gesicht so wie seine stechend grünen Augen. Wer er wohl ist? Vielleicht sollte ich es lassen und einfach nach Hause gehen. Oder ich könnte auch…,  nein das sollte ich besser nicht tun. Wieso muss er eigentlich genau jetzt hier sein. Jetzt da ich so dringend…

„Das ist wohl ein „Nein“ oder? Ich denke dann gehe ich jetzt besser.“

O scheisse, ich habe ganz vergessen, dass er noch da ist. Ich weiss nicht wieso aber ich will nicht, dass er geht.

„Nein, warte es tut mir leid. Ich war bloss in Gedanken, bleib!

Ich bin Enja und wie heisst du?“. Er schaut mich zögern an, streckt mir dann aber seine Hand hin.

„Ich bin Jasper freut mich.“ Mit einem Lächeln greife ich seine Hand und erwidere den festen Händedruck. Jasper? Interessanter Name.

„Und Jasper, was machst du hier? Du siehst ganz schön mitgenommen aus.“ Sofort verdunkelt sich sein Blick. Ich habe wohl was Falsches gesagt. „Ich kann nicht nach Hause, dort wartet mein Dad.“ Er zeigt mit einer wagen Bewegung auf seine Lippen. Das Blut ist schon geronnen und um die aufgeplatzte Stelle hat sich die Haut lila gefärbt. Es sieht ziemlich schmerzhaft aus. Ich denke kurz nach und sage dann:

„Ich denke du kannst Hilfe gebrauchen. Ich kann dir helfen. Schlafplatz inbegriffen. Aber wenn ich das tue, dann musst du mir versprechen nicht auszurasten und auch niemandem davon zu erzählen.“

„Das hört sich ja nicht so vertrauenswürdig an“, er lächelt mich verunsichert an.

„Ich weiss. Es ist deine Entscheidung, aber da du nicht nach Hause willst“, gebe ich zurück. Er überlegt kurz, doch dann tritt ein entschlossener Ausdruck in seine Augen. „In Ordnung, aber wegen was soll ich nicht ausrasten?“ Ich beantworte seine Frage nicht sondern schaue in noch ein letztes Mal prüfend an, bis ich dann anfange mit meinen Händen Kreise in die Luft zu ziehen und so ein Portal öffne. „Wegen dem hier.“, flüstere ich.

Ich mache einen Schritt auf das Portal zu.

„Herzlich willkommen in meinem Zuhause.“

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