"Der einzige Grund" – Eine Geschichte von Nadia Bajrami - Young Circle

«Der einzige Grund» – Eine Geschichte von Nadia Bajrami

Member Stories 2024

«Der einzige Grund» – Eine Geschichte von Nadia Bajrami

Die Person, die erzählt, erlebt eine tiefgreifende körperliche und emotionale Krise, die ihn zuerst im Scheinwerferlicht auf den Boden stürzen lässt und dann in einem sterilen Krankenhauszimmer mit schmerzhaften Erinnerungen konfrontiert. Durch die Hilfe der Menschen um ihn und die Inspiration einer Malerin findet er wieder zu seiner Leidenschaft und Lebensfreude, indem er sich in das Malen vertieft und seine Energie und den Wunsch zu tanzen zurückgewinnt.

Scheinwerferlicht.

Das war alles, was in diesem Moment mein Sichtfeld einnahm, mich blendete, bis ich das Licht wie ein lachsfarbenes Tuch wahrnahm. Dann sackte ich zusammen, mein Körper prallte auf dem Boden auf, ich spürte nichts als die Blicke der Zuschauer, tausend Wespenstiche auf meiner Haut.

Dann all die Hände, die nach mir griffen, versuchten, mich aufzurichten, mich schüttelten.

Man meinte, ich würde schlafen.

Vielleicht war das auch gut so.

Vielleicht wäre es besser gewesen, nicht mehr aufzuwachen.

***

Schneeweisse Wände.

Sie rückten näher, drohten mir die Luft aus den Lungen zu pressen, während meine Augen an der grellen Helligkeit klebten, wie verzweifelte Hände an Harz.

Das sterile Zimmer war erfüllt von nervtötendem Piepen, dazwischen Worte, wie durch Watte. Sie sanken in mich ein, ins Innerste.

Vernichtung.

***

Zehn schlug die Bahnhofsuhr, als mir die Krücken wie von Geisterhand aus den Fingern gerissen wurden, meine Beine den Dienst versagten, mein Körper auf den eiskalten Boden knallte.

Aufs Neue erschienen Hände. Verwirrte Stimmen. Mitleid.

Ich wollte das nicht noch einmal. Nicht noch einmal diese helfenden Hände, die mich auseinanderzureissen drohten.

Am liebsten hätte ich die Augen geschlossen, wie damals, als ich gemeint hatte, es sei alles zu Ende. Hätte noch einmal die Bilder gesehen, die mir so viel bedeutet hatten. Tanzschuhe auf dem Parkett, der Glanz in den Augen des Publikums. Aber mein Blick blieb haften an jenem Schaufenster.

Farben. Aquarell. Acryl.

In der Tiefe des Raums sah ich auf den zweiten Blick eine Frau. Sie malte mit dem Pinsel auf der Leinwand die schwebenden Füsse einer Tänzerin.

***

Wie gefangen war ich in der Leidenschaft, in den Farben, Variationen, Nuancen, Mischungen, Strichen und Flächen.

Meine Finger zitterten. Die Striche und Punkte auf der Leinwand wurden deutlicher, fügten sich in meinem Kopf zu einem Bild, während meine Hand über die Oberfläche flog, als tanzte sie, anfangs noch zögernd, doch jetzt zog sie sicher die Linien. Tanzschritte, tausendfach geübt, einstudierte Gesten, Pirouetten. Traumhafte Spuren aus Farben, aus lebhaften, leuchtenden Farben, die mich bis in den kleinsten Winkel meines Kopfes ausfüllten, mich ergänzten und vervollständigten. Während ich malte, füllte sich die Leere, kehrte die Kraft in meine Beine zurück, und ich tanzte wie einst.

Vergessen hatte ich zu atmen, vollkommen versunken war ich in die Welt, die ich mir erschuf wie im Rausch. Die Welt, die mir den einzigen Grund gab, nie wieder die Augen zu schliessen.

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