Ihre Augen, umrahmt von einer mit Federn besetzten Maske suchten den Ballsaal nach einem vertrauten Gesicht ab. Sie war die Fremde hier, die Aussenseitern, die sich unbemerkt eingeschlichen hatte und dieses Gefühl gefiel ihr. Ihr Kleid, blutrot, raschelte verheissungsvoll bei jedem Schritt und wirbelte wunderschön herum, wenn sie tanzte, doch bisher hatte sie noch keiner zum Tanz aufgefordert. Stundenlag stand sie zuhause vor ihrem Spiegel und malte sich den heutigen Abend in den prächtigsten Farben aus. Ihre grünen Augen funkelten verführerisch hinter der Maske, die Farbe ihres Kleides verlieh ihrer Haut eine wunderbare Frische, die sie scheinbar glänzen liess. Der Ballsaal war wunderschön geschmückt worden. Fast fühlte es sich so an, als wäre man in eine fremde Welt eingetaucht. Eine Welt aus Gold und Samt. Sie wusste, dass ein alter Bekannter hier war, irgendwo hinter einer dieser Masken versteckt. Er war der Grund, warum sie überhaupt aufgetaucht war, er ganz alleine. Man konnte nicht gerade behaupten, dass sie sich gerne in teure Stoffe hüllte, sich in Korsetts zwängte, die ihr fast die Luft abschnitten und sich öden Konversationen anschloss, doch für ihn wäre sie sogar ans Ende der Welt gereist. Mit anmutigen Schritten gleitete sie durch den Saal, schenkte hier jemandem ein Lächeln, zwinkerte da jemandem zu und genoss das Gefühl all der neidischen Blicke, die man ihr hinterherwarf. Sie konnte sie förmlich spüren, ein warmes Prickeln auf ihrer Haut. Einige Minuten vergingen, in denen sie sich einfach der Musik hingab und sich von der Vorstellung verschlingen liess, was sie tun würde, wenn sie heute denn Mann wieder sehen würde, der ihr ganzes Leben völlig auf den Kopf gestellt hatte. Das nächste Lied wurde angespielt und die Gäste nahmen ihre Plätze ein; die Männer links, die Frauen rechts. Sie verfolgte das Schauspiel, dass sich vor ihr ergab, als etwas ihren Blick festhielt. Da war er. Obwohl auch er eine Maske trug, war sie sich sicher. Er stand am anderen Ende des Ballsaals, mittig, nicht wie die anderen Männer auf der linken Seite. Ihre Blicke trafen aufeinander. Wie lange sie auf diesen Moment gewartet hatte. Seine Umwelt völlig vergessend, kam er mit grossen Schritten auf sie zu.
Die Frauen und Männer, die sich in der Mitte hätten treffen sollen stoben erneut auseinander und verfolgten den Mann, der ihren Tanz störte mit bösen Blicken. Er kam näher. Er war es wirklich. Sie würde diese braunen, funkelnden Augen überall erkennen. Er kam vor ihr zum Stehen, nur wenige Schritte entfernt. Vielleicht hätte sie sich fürchten sollen, schliesslich war sein geliebter Vater derjenige gewesen, der sie aus dem Schloss verbannt hatte und nun stand sie in ihrer vollen Pracht im königlichen Ballsaal, ohne Einladung. Mit einem höflichen Knicks begrüsste sie ihn. «Ihr seid zurückgekommen, darf ich annehmen, dass Ihr meinetwegen hier seid?» Und wie sie das war. Sie nickte und schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln. Sie spielte ihre Rolle wirklich gut, fast täuschte sie sich selbst. Er beugte sich vor, ergriff ihre Hand und drückte seine Lippen sanft auf ihren Handrücken. Ein warmes Gefühl machte sich in ihrem ganzen Körper breit. «Darf ich die Dame um einen Tanz bitten?» Wie naiv er doch war. Obwohl er wusste, dass er der Grund war, weshalb sie des Hofes verbannt worden war, dachte er, dass sein Charme, der die anderen Frauen umgarnte wie eine Spinne die Beute, sie alles vergessen lassen würde. Wie falsch er doch lag. Er hatte sie unterschätzt, wie so viele vor ihm. Diesen Fehler würde er nur einmal machen. Sie legte ihre Hand in die Seine und gemeinsam wirbelten sie auf die Tanzfläche. Der Klang des Walzers umhüllte sie und für einen Moment konnten sie alles um sich herum vergessen. Der Prinz konnte die Geldsorgen seines Vaters, seines Landes in die hinterste Kammer seines Gedächtnisses verbannen und sogar sie vergass – wenn auch nur für ein paar wenige Sekunden – den Dolch an ihrem Oberschenkel, der sich so eng an sie heranschmiegte, dass er fast ein Teil von ihr zu sein schien. Ihre Blicke hielten sich gegenseitig fest, klammerten sich aneinander als fürchteten sie sich zu verlieren. Der süssliche Duft von Wein, der sich um den Prinzen gelegt hatte, drang an ihre Nase. Sie tanzten weiter, nochmal einen Walzer, dann einen sehr langsamen, ruhigen Tanz. Sie schmiegten sich eng aneinander und liessen sich von der Musik führen. Die Ungeduld brannte in ihr, sie konnte die Hitze spüren, die verschwörerisch in ihr hochstieg. Kaum zu glauben, dass der Prinz sich nicht an ihrer Haut verbrannte, unter der die Ungeduld wild brodelte. Sogar die Klinge des Dolchs schien förmlich zu glühen. Ein hämisches Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht, schnell wandte sie es ab. Sie hatte nichts zu verlieren, nicht nach dem der Prinz ihr alles genommen hatte, was ihr lieb war. Dafür würde er büssen müssen. Bald würde ihr Dolch die gleiche Farbe haben, wie der süsse Wein, den der Prinz so gierig hinuntergestürzt hatte, in der Hoffnung er könnte wenigstens für einen Abend ein ganz normaler Mann sein, wie das Kleid, in dessen viele Lagen sie sich gehüllt hatte, als täte sie es jeden Tag. Der edle Prinz hatte sie zum Tanz aufgefordert und es würde sein allerletzter sein.
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