"Der Abschied" – eine Geschichte von Kristina Puzic - Young Circle

«Der Abschied» – eine Geschichte von Kristina Puzic

Member Stories 2022

«Der Abschied» – eine Geschichte von Kristina Puzic

Ich hatte nicht viel Freunde oder Kollegen, ansonsten würde ich ja nicht hier alleinstehen. Ich muss gestehen, dass es manchmal mein Herz brach zu sehen, dass nicht so viele hatte. Freunde, die ich anrufen konnte und die sofort zur Stelle waren, und das wichtigste, von meiner eigenen Schule sind.

Die Blätter raschelten im Wind der grossen Baumreihe. Die Strasse war weit offen und willkommen hell. Die Strasse, die ich drei Jahre lang sah und irgendwie mochte in diesem Licht. Die alten Häuser in der Nachbarschaft mit ihren dunklen Eisengittern und heraushängenden Rosen im Sommer. Ich stand in der Stille am Bürgersteig mit dem Wind in meinem Rücken wehend und dem heiligen Gefühl des Abschlusses in der Luft liegend.

Ab und zu hörte man einen Hund bellen. Eine gefleckte Katze sprang über die efeubewachsene Mauer an der Busstation, am gegenüber liegendem Strassenrand, in irgendeinen Garten.

Alle sind bereits gegangen. Bereit am nächsten Morgen die Koffer zu packen und irgendwo ungeduldig in die ersehnten Ferien zu fahren. Oder wie meine Klassenkameraden am Abend noch irgendwo durchfeiern zu gehen, jetzt da sie ihren Abschluss in den Händen hielten. Die Show war vorbei. Die Schule offiziell abgeschlossen für diesen Lebensabschnitt. Alle bereit in die Zukunft weiterzugehen.

Ich noch nicht. Ich brauch nur noch etwas länger Zeit, um mich zu verabschieden. Nur etwas mehr Zeit, weil sie immer so ein schnell vorbeigleitender Fluss ist, der nie von einem Damm aufgehalten werden kann. Ich hasste die Zeit, deshalb war ich als letzte hiergeblieben. Ich vermute, dass ich immer schon eine eher sensible Person war und deshalb mir grosse Abschied schwerfielen. Obwohl ich nicht viel hatte vor dem ich mich verabschieden könnte. Die Schule, die Strasse, die Nachbarhäuser, die wie aus einem anderen Jahrhundert immer noch dastanden, ein paar Plätze, wo ich Erinnerungen mit ein paar Leuten gemacht habe, der Sportplatz hinter dem Gebäude, dessen Atmosphäre und grossen Freiraum ich liebte und die Dachterrasse, von der aus einem der Himmel so nahe vorkommt. Leute, gab es da nicht viele. Vielleicht die eine Lehrerin, die besonders nett ist oder der eine Mensamitarbeiter, der sich besonders an dich erinnert. Speziell, wenn man so oft Kaffee kaufte wie ich, war es keine Ausnahme.

Ich hatte nicht viel Freunde oder Kollegen, ansonsten würde ich ja nicht hier alleinstehen. Ich muss gestehen, dass es manchmal mein Herz brach zu sehen, dass nicht so viele hatte. Freunde, die ich anrufen konnte und die sofort zur Stelle waren, und das wichtigste, von meiner eigenen Schule sind. Ich hatte Kollegen, mit denen man ein kurzer Plausch auf dem Schulgang machen konnte, aber keine wahren Freunde. Das ist der Nachteil der Ruhigen, aber auch der Schüchternen, obwohl ich das eher weniger war. Man wird zu Dingen kaum eingeladen und kommt in keine Chats, wo man in der Stunde miteinander schrieb. Man konnte höchstens jemanden über die Schulter schauen, um so mitzukriegen, dass überhaupt so etwas existierte. Und bei echten Konversationen, kickt die soziale Angst ein und man sitzt nur stumm da. Es ist die Unsicherheit, die einem die Kehle zuschnürt, wenn man da etwas sagen will.

Es ist 9 Uhr abends und während der Sommerzeit jetzt war die Sonne immer noch wach, strahlend ihr letztes Licht, bevor die Dunkelheit angeschlichen kam. Die Feier endete bereits vor zwei Stunden. Es war nichts weiter als grosse Reden, die allgemeine Zeremonie, falschausgesprochene Namen und sehr viel Bilder und Tränen.

Normalerweise dauerten die ewigen Freundschaften, die in amerikanischen Filmen gezeigt werden, bis zum Schulabschluss. Hier lief es aber anders: Manche Freundschaften dauern hier ein halbes Semester lang, wenn dann ein Jahr, bis man in eine neue Klasse kommt und neue Gesichter zum Zulächeln findet. Neue Gruppen entstehen und die Kontakte ausserhalb der alten Klasse verblassen langsam im glänzenden Schein von neuen. Wie verräterisch vom Leben. Aber wer meinte schon das Leben sei fair?

Jedenfalls habe ich es so erlebt und mir kommen erst jetzt langsam Tränen, wenn ich an meinen ersten Tag hier zurückdenke. Was für ein glückliches Mädchen war ich doch? So aufgeregt neue Freunde zu machen und die Schule anzufangen, die modernisiert wurde zu der Zeit. Was für ein unglückliches Mädchen bin ich jetzt doch? Diplom in frischlackierten Fingern haltend, verschmiertes Makeup von den fliessenden Tränen, einem leeren Gefühl in der Brustmitte und keine Zukunft vor Augen, weil diese Jahre einen psychisch herausgefordert haben. Und das schlimmste, allein geblieben.

Niemand fragte mich nach der Zeremonie wohin und als ich zurückblieb, bemerkte es niemand wirklich. Meine Familie hatte ich weggeschickt und gesagt ich würde mit Freunden noch etwas unternehmen. In Wirklichkeit stand ich allein hier und hörte höchstens das Miauen der Katze von vorhin und das Brummen der Autos auf der nächsten Strasse entfernt.

Da war einfach diese Einsamkeit in mir, die nie wirklich weggehen wird. Der goldfarbene Himmel und ich sind die einzigen, die noch hier waren wie all die Jahre zuvor. Auf dem Sportplatz, auf der Dachterrasse, spazierend neben den alten Häusern und jetzt auch auf der Strasse meiner Jugend.

Das letzte Kapitel. Das Happy End. In meinem Fall nicht.

Bewertung