Ich dachte immer meine Macht sei unbegrenzt und ich sei unbesiegbar. Doch jetzt gab es für mich gerade nur noch eine einzige Möglichkeit, und zwar fliehen. Fliehen vor meiner Grössten Feindin.
Es war ein ganz normaler Samstagabend und ich stand wie üblich am Fenster und wartete darauf, dass über dem Wald wieder dieses Schimmern auftauchte. Ich sah nämlich schon seit einigen Tagen immer diese geheimnisvollen grünlichen Lichter über dem Wald. Sie sahen verdächtig nach Nordlichtern aus. Aber das war ja unmöglich. Nordlichter hier in der Schweiz? Sicher nicht. Doch ich fühlte mich seltsam hingezogen zu diesem Wald. Meine Mutter hatte mir immer gesagt ich sollte mich vom Wald fernhalten und ja nicht allein weiter als zur grossen Wiese vor dem Wald gehen. Doch an diesem Abend hielt ich es fast nicht mehr aus. Ich musste dahin! Also wartete ich, bis es im Zimmer meiner Mutter dunkel und ruhig geworden war, schnappte mir meine Schuhe und die Winterjacke und schlich aus dem Haus. Es war Herbst und am Abend war es immer schon recht schnell dunkel. Darum fand ich es schon etwas gruselig ganz allein, doch das Licht führte mich. Es zog mich geradezu in den Wald. Ich begann über die Wiese vor dem Wald zu rennen. Nach kurzer Zeit hatte ich den Waldrand erreicht. Ich trat langsam zwischen die ersten Bäume. Das Strahlen aus dem Wald wurde immer stärker. Der Wald in dieses leichte Schimmern getaucht, erinnerte mich so sehr an die isländischen Geschichten, die meine Mutter mir immer erzählt hatte, als ich noch klein war. Sie erzählte mir auch immer von unseren Verwandten in Island, die ich leider noch nie hatte besuchen dürfen. Ich erinnerte mich an ein Gespräch, das ich einige Tage zuvor mit meiner Mutter geführt hatte. Es war am ersten Tag, an dem ich das Licht aus dem Wald gesehen hatte. Ich fragte sie, was das sei. Doch sie antwortete nur: « Was denn Schatz, ich sehe nichts, was meinst du? Du bist bestimmt nur müde geh jetzt lieber ins Bett» Ich konnte danach nicht mehr schlafen. Ich fragte mich die ganze Zeit, warum sie diese Lichter nicht gesehen hatte. Aber zurück zum Wald. Ich war jetzt ganz nah beim Licht angekommen, das merkte ich, weil es auf einmal viel heller leuchtete. Als ich hinter dem nächsten Strauch hervor spähte, erkannte ich, dass dieses merkwürdige fast schon magische grüne Licht aus einem hohen Birkenbaum kam. Diese Bäume gab es auch in Island. Ich war so in den Bann der Birke gezogen, dass ich den kleinen Fuchs, der sich an meinen Beinen rieb, zuerst gar nicht bemerkte. Ich erschrak, merkte aber schnell, dass er mir nichts tun würde. Er trippelte auf die Birke zu und verschwand in einem Loch zwischen den Wurzeln. Ich folgte ihm, zuerst dachte ich, dass ich unmöglich in diese kleine Lücke passen würde. Doch beim näher kommen wurde die Lucke immer grösser, bis sie sich meiner Grösse angepasst hatte. Ich hatte allerdings nicht lange Zeit, mich darüber zu wundern, denn als ich gerade eintreten wollte, bemerkte ich den dunkel gekleideten Mann, der neben dem Eingang stand, gleich da, wo vor einigen Sekunden noch der Fuchs gestanden hatte. Er sah mich an und sagte mit tiefer, aber angenehmen Stimme: «Du brauchst keine Angst zu haben. Komm rein, ich erkläre dir alles.» Ich zögerte, aber schlussendlich siegte meine Neugier und ich folgte ihm in den Durchgang. Kaum war ich eingetreten, schloss sich der Baum hinter mir. Ich schlug gegen die Erde, aber es war zwecklos. Der Mann sagte: «Wenn du wirklich raus möchtest, wird sich der Durchgang wieder öffnen. Da er das nicht tut, vermute ich, möchtest du wohl lieber hierbleiben.» Das musste dann wohl stimmen. Wir gingen den Gang entlang und kamen schliesslich in einen grossen runden Raum. In der Mitte des Raumes lag ein Kästchen auf einer Steinsäule. Ich ging hin und hob es hoch. Der Mann, der wie er mir erklärt hatte, ein Gestaltenwandler war und sich in jedes beliebige Tier verwandeln konnte, trat hinter mich. Er sagte: «Da drin ist unsere Lichterfee gefangen. Sie wurde von ihrer ärgsten Feindin der Erdfee gefangen.» « Da drin?», stammelte ich. « Ja, da drin. Sie wurde vor etwa vier Tagen von der Erdfee überwältigt. Wir dachten immer sie sei unbesiegbar, aber das war sie wohl nicht.», antwortete er. « Vor vier Tagen? Da habe ich die Lichter im Wald zum ersten Mal gesehen.» « Das war kein Zufall. Du wurdest ausgewählt, um die Lichterfee von ihrem grausamen Schicksal zu befreien. Die Lichter, die du gesehen hast, das war ein Zeichen, ein Hilferuf von ihr. », war seine Antwort. Ich war sprachlos. Ich wurde ausgewählt, um die Königin der isländischen Nordlichterfeen zu befreien? Ich wusste natürlich alles über die isländischen Feen, die Lichterfee und die Erdfee. Sie waren schon seit Jahrtausenden im Krieg. In Island war es ja auch in der Nacht oft hell und das gefällt der Erdfee überhaupt nicht. Darum streiten sie sich immer. « Die Nordlichter sind ganz allgemein immer ein Hilferuf von der höchsten Lichterfee», fügte der Gestaltenwandler hinzu. « Ich will unbedingt helfen, was muss ich tun?», fragte ich. « Du musst mit dem Kästchen auf die Birke klettern und es dann öffnen.», war seine Antwort. Nicht gerade beruhigend. Aber ich konnte gut klettern. Also tat ich es. Der Aufstieg war nicht gerade leicht. Endlich war ich oben angekommen. Ich öffnete das Kästchen und wäre vor Schreck fast rückwärts runtergefallen. Aus dem Kästchen kam der grösste Lichtblitz den ich je gesehen hatte. Doch er verschwand so schnell wie er gekommen war. Ich stieg wieder herunter. « War es das?», fragte ich. « Ja, das hast du super gemacht. Du stehst jetzt unter dem Schutz der Lichterfee. Leider musste sie schnell wieder nach Island, um die anderen Feen zu beschützen. Aber sie wird dir bald ein Zeichen schicken.» Ich nickte schweigend. Wir verabschiedeten uns voneinander und ich ging nach Hause. Ab jetzt stand ich jeden Abend am Fenster und wartete auf ein Zeichen der Lichterfee.
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