Es war kalt und düster, als ich die Strasse von Silver Springs entlanglief. Ich fröstelte am ganzen Körper und spürte den Anfang des Herbstes deutlich. Nachdem ich um eine Ecke bog, sah ich in der Ferne das Licht unseres Hauses und steuerte zielsicher darauf zu. Von weitem hörte ich die Musik aus der Küche trällern und mir wurde warm ums Herz. Mir wurde bewusst, wie sehr ich mein Zuhause nach nur ein paar Monaten vermisste. Als ich das letzte Mal hier gewesen war, blühten die schönsten Blumen, alles war grün und die Sonne schien jeden Tag stärker. Jetzt waren die Blätter an den Bäumen langsam bunt und einige fielen bereits herunter. Ich öffnete die Tür und trat ein in das wohlige Warm des Hauses. Nichts hatte sich seit meiner Abreise verändert. Alles hatte seinen immerwährenden Platz. Ich atmete tief ein und genoss diesen kurzen Moment. Es duftete herrlich nach frischem Essen. Ich zog langsam meine Jacke aus, um sie an meinen Haken zu hängen, liess mein Gepäck stehen und folgte der Musik und dem Duft in die Küche.
Dort wurde ich direkt in die Arme meiner Mutter genommen. Sie drückte mich fest und lange an sich. Nach einer Weile löste sie die Umarmung und musterte mich genau. Sie strahlte mich an und seufzte glücklich. «Na, wie gehts dir meine Kleine?» «Mir geht es prima. Seit ich hier bin, geht’s mir noch viel besser!» Meine Mutter lachte herzlich und bedeutete mir, ihr in die Küche zu folgen. Kaum hatte ich die Teller hervorgenommen und hingestellt, wurde ich überfallen. Die Zwillinge hielten beide je ein Bein von mir umschlungen und strahlten mich an. «Avery» riefen sie im Chor, und ich musste lachen. «Na ihr beiden!» Ich löste sie von meinen Beinen und kniete mich hin, um beide ganz fest zu drücken. Allerdings wollten Max und Theo sich sehr schnell wieder von mir lösen. So widmete ich mich wieder dem Tisch decken.
Nach einer Weile kamen auch mein grosser Bruder Noah und mein Vater nach unten und begrüssten mich. Nachdem ich mit Noahs Hilfe den Tisch gedeckt hatte und das Essen fertig war, setzten wir uns alle an den Tisch. Wir sprachen über alles Mögliche, und ich genoss das grossartige Abendessen mit meiner Familie.
Nach dem Abendessen wollten wir noch ein paar Spiele spielen. Während Mum die Zwillinge ins Bett brachte, räumten wir den Tisch wieder ab. «Na, wie läufts so in Harvard? Wie geht es dir wirklich?» Noah sah mich wissend an. Ich versuchte zu verbergen, wie es mir wirklich ging. Ich war ausgelaugt und ich wollte nur noch schlafen. Ich vermisste mein Zuhause und ich hatte keine Lust mehr auf das Lernen. Klar, Harvard war sehr schön, und es gefiel mir eigentlich dort auch. Nur war es einfach zu viel und ich war mir nicht mehr sicher, ob ich noch dorthin gehörte. Aber ich wusste auch, was meine Eltern alles dafür gegeben hatten. Die vielen Überstunden und zusätzlichen Jobs, nur damit ich meinen Traum verwirklichen könnte. Ich war zu dankbar und ich wollte das alles nicht einfach wegwerfen wegen einer Laune. Also sagte ich nichts davon. «Das weisst du doch. Mir geht es gut und Harvard ist wunderbar!» tat ich das mit einem Lachen ab. «Ja schon klar. Ich dachte nur…, dass du…ach egal.» Noah gab nach und bohrte nicht weiter. Er ahnte etwas, das war mir klar. Vielleicht würde ich es ihm auch irgendwann sagen. Aber bestimmt nicht jetzt und nicht vor Mum und Dad. Ich kramte in der Spiele Schublade und fand schliesslich wonach ich suchte. Ich zog ein altes und abgenutztes Brettspiel hervor: «The Labyrinth». Ich stellte es auf den Tisch und setzte Wasser für Tee auf. «Wirklich dieses alte Ding?» neckte mein Vater mich, als er das Spiel erkannte. Ich sah ihn vorwurfsvoll an und musste lachen. «Ja, dieses alte Ding!» Da kam auch schon Mum und wir begannen zu spielen.
Ich wurde von der morgendlichen Sonne geweckt, und als ich die Augen öffnete, hatte ich direkt ein Lächeln auf dem Gesicht. Ich war zu Hause in Silver Springs bei meiner Familie. In wenigen Tagen würde ich bereits abreisen. Dieser Gedanke machte mich traurig also wischte ich ihn rasch weg und konzentrierte mich auf den heutigen Tag. Ich schlüpfte in meine flauschigen Hausschuhe und zog mir einen dicken Pulli über. Anschliessend schlurfte ich verschlafen die Treppe runter. Unten wurde ich von meinen Eltern und einem Frühstück erwartet. Ich machte mir einen Kaffee und setzte mich zu ihnen. «Morgen» grummelte ich und trank einen Schluck. «Guten Morgen Prinzessin» Mein Vater lachte mich an. «Du siehst toll aus!» Meine Mutter musste lachen und ich warf den beiden einen entnervten Blick zu. «Wo sind meine Brüder?» «Ach die schlafen noch. Wir wollten euch eigentlich gerade wecken gehen. » Meine Mutter stand auf und ging in die Küche, während mein Vater gemächlich nach oben ging. Einen kurzen Moment später sassen meine Brüder am Tisch, und wir begannen zu essen. Ich würde sie so vermissen, sobald ich wieder nach Harvard ging! Ich erinnerte mich an den gestrigen Abend und konnte mich nicht mehr zurückhalten: « Ich will nicht zurück nach Harvard!» sprudelte es aus mir heraus, und alle schauten mich verwirrt an. Ich seufzte, und schliesslich erklärte ich ihnen alles. Einen Moment lang sagte niemand etwas, und ich bereute schon, etwas gesagt zu haben. Mein Vater unterbrach als erster die Stille mit einem Seufzen: «Ach Avery, warum hast du nicht schon früher mit uns gesprochen?» « Ja, du weisst doch, dass wir immer für dich da sind! « erwiderte meine Mutter, und ich beruhigte mich allmählich. «Danke!» sagte ich von ganzem Herzen. Meine Eltern erwiderten mein Lächeln. «Na komm, jetzt feiern wir erstmal das beste Thanksgiving, und später schauen wir weiter.» sagte mein Vater liebevoll und umarmte mich.
Es dämmerte schon langsam, als die ersten Freunde und Familienmitglieder kamen. In der Küche wurde fleissig gearbeitet und im Wohnzimmer spielten die Kinder, während sich die Erwachsenen unterhielten. Hier war ich zu Hause, und in diesem Moment war alles perfekt!
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