Aus der Ferne erklangen Stimmen. Die Worte verschwammen mit der Distanz und zu hören war nur noch ein leises Flüstern. Folgte man dem feinen Getuschel wurden sie lauter und immer mehr. Was für die meisten klang wie das knarrende Gehölz der Bäume, war in Wahrheit eine Vielzahl von Stimmen, die wild durcheinander redeten und tuschelten, aber sobald ich nähertrat, verstummten sie alle. Für einen Moment war es still, nicht einmal ein Atmen hörte man, ehe auf einen Schlag alle wieder in ein Gespräch verfielen.
Es war laut, fast schon ohrenbetäubend und ich konnte mich unmöglich auf eine einzige Stimme konzentrieren, denn wer viel erlebt hatte, hatte mindestens genauso viel zu erzählen. Dennoch hörte ich immer wieder ein «Er sieht uns nicht.» Es kam aus allen Richtungen, als wäre ich umzingelt von einer Menge. «Er sieht uns nicht. Er kann uns nicht sehen!» Ich drehte mich um meine eigene Achse, doch ohne Augenlicht war es schwer, die Schuldigen zu identifizieren. «Ich will nur zuhören. Dafür muss ich euch nicht sehen oder wissen, wer ihr seid», krächzte ich mit meiner rauen, alten Stimme, «Die anderen reden nie mit mir. Meine Familie behandelt mich wie einen Schwerbehinderten, nur weil ich alt bin und nicht sehen kann.» Während ich sprach, hörten sie auf zu reden und hörten mir zu. «Alt? Du sollst alt sein? Als du auf die Welt kamst, war ich schon zehnmal älter als du jetzt bist!», erklang es neben mir und ich drehte meinen Kopf, sodass mein Ohr in die Richtung zeigte. «Dann habt ihr bestimmt alle viel zu erzählen und ich bin hier, um euch zuzuhören und zu erfahren, was ich nie erleben werde.»
Alle auf einmal quasselten abermals wirr umher. Wörter überschlugen sich mit anderen, Sätze wurden übertönt oder vollständig ausgeblendet. Doch erneut war es mit einem Mal mucksmäuschenstill, als Schritte hinter mir erklangen.
«Opa was machst du denn allein hier im Wald?», hörte ich meine Enkelin und ich drehte mich zu ihr um. Ihre kleine Hand griff nach meiner und sie zog sanft an meinem Arm. «Die Bäume wollten mir gerade ihre Geschichten erzählen», meinte ich und liess mich langsam von ihr aus dem Wald führen. «Natürlich wollten sie das.» Das Schmunzeln in ihrer Stimme verriet die Tatsache, dass sie mich nicht ernst nahm. Das wunderte mich nicht, denn sie konnte die Bäume bloss sehen und nicht hören, was sie zu sagen hatten. «Alle haben schon nach dir gesucht. Du solltest nicht allein irgendwohin laufen. Was wenn dir etwas passiert oder du nicht mehr zurückfindest?»
Was für ein Unsinn. Die Bäume hätten mir den richtigen Weg gezeigt, denn sie wissen mehr als wir alle.
Reiche jetzt deine eigene Geschichte ein oder lies weitere Member Stories: