1822, Umgebung Estavayer
Martin McConnor war nicht arm. Dies, jedenfalls redete er sich ein. In Schottland hatte es keine reichen Schotten gegeben. Nur reiche Engländer. In Schottland hatte er aber zu den wohlhabendsten Schotten gehört, die in der Gegend um Fort Augustus gelebt hatten. Bis er sich gegen die hohen Steuern, die die Engländer ihnen aufgebunden hatten, aufgelehnt hat. Der örtliche Sheriff hatte ihn grinsend in die Verbannung geschickt und ihm höhnisch zum Abschied salutiert.
Und nun war er hier. In der Schweiz. Ein ödes, gebirgiges Stück Land. Ohne ein Meer weit und breit. Nur diese Seen auf die sie hier so stolz waren.
All diese Gedanken rasten ihm durch den Kopf. Natürlich begleitet von Verwünschungen und jeder Menge Schimpfwörtern, die gar nicht unbedingt von Belang waren.
Die verrostete Öllampe die er aus seinem Leben in den Highlands mitgenommen hatte, beleuchtete den kleinen Raum nur spärlich. Er musste Öl sparen.
McConnor sass in der Ecke seiner kleinen Hütte an einem abgewetzten Eichentisch und rutschte unruhig auf dem groben Schemel herum, der ihm als Stuhl diente. Irgendwas lag in der Luft. Seine Ziege, Belana, die nach der Göttin des Lichts und der Stärke benannt war, scharte nervös mit dem Huf über den Naturboden. McConnor drehte sich zu ihr um.
«Heute ist Neumond, Belana, ist es das, was du merkst?»
Die Ziege antwortete ihm natürlich nicht, legte aber fragend den weissen Kopf zur Seite und musterte ihn aus unergründlich goldenen Augen. Eines ihrer Hängeohren zuckte.
Einen Augenblick später wehte ein kalter Wind um das kleine Häuschen. Die kalte Luft drang durch die Ritzen des schlecht gezimmerten Hauses und brachte das Stroh auf dem festgetretenen Boden, zum rascheln.
McConnor fröstelte und schlang sich die Arme um den Leib. Er wünschte sich die Gerstensuppe nicht so schnell hinuntergeschlungen zu haben.
Der Wind heulte immer noch wie ein Wolf und rüttelte, an dem einen Fenster der Hütte. McConnor hörte das Knarzen der Weide, hinter dem Haus und fragte sich, ob er vom Wind davon geweht werden würde, träte er vor die Tür. Ihm wurde bewusst, dass Finn noch draussen war. Finn war ein gefleckter Mischlingshund, er war zusammen mit der Ziege und der Öllampe das Einzige was er noch aus seiner Heimat hatte. Er band Finn immer draussen vor der Hütte an. Es war eine alte Gewohnheit, denn zu stehlen gab es hier natürlich nichts. Es sei denn, jemand hatte Lust, ihn für eine Schüssel Gerstensuppe zu erschiessen.
Belana fing mit einem Mal an zu meckern und zog wie verrückt, am Seil mit dem sie angebunden war. Auch der Hund fing an zu bellen. McConnor erhob sich.
Die Tür knarrte jämmerlich als er sie aufstiess. Sofort schlug ihm die kalte Herbstluft entgegen und der starke Wind wehte ihm das fettige Haar zurück. Das Licht, das durch die offene Tür und das Fenster drang, war noch immer sehr spärlich, es erhellte gerademal den Platz vor der Hütte. Es war jedoch genug um zu erkennen, dass etwas nicht stimmte.
Das laute Bellen, welches die Luft erfüllt hatte, verstummte abrupt. McConnor konnte erkennen, dass ein Schatten auf ihn zu flitzte. Es war Finn. Die braunen Augen des Hundes waren vor Angst geweitet und er sprang an ihm hoch. McConnor strich ihm beruhigend über den Kopf und runzelte überrascht die Stirn. Er konnte mit den Fingerspitzen kahle Stellen im Fell des Hundes ertasten. Aber Finn hatte keine kahlen Stellen!
Er sah auf den Hund hinab, Finn schien um Jahre gealtert!
Der sonst so lebhafte, Colliemischling erbebte, als könnte er sein Gewicht nicht mehr tragen. Vielleicht war es auch das flackernde Licht, das aus der Hütte drang, aber McConnor könnte schwören, dass sich jeder einzelne Knochen unter dem Fell des Hundes abzeichnete. Die kahlen Stellen wurden kaum merklich grösser. Schliesslich brach Finn zusammen. Seine Knochen knackten grässlich. Sein Kopf stand in einem unnatürlichen Winkel vom Körper ab und McConnor wusste das er tot war.
Misstrauisch blickte er in die Dunkelheit. «Wer ist da? Das ist mein Land. Verschwinde!»
Er trat schwankend ein paar Schritte zurück und tastet nach der Flinte die drinnen an der Wand hing. Die Flinte auf die Dunkelheit gerichtet, bezog er Stellung vor der Tür.
Ein Stöhnen aus der Dunkelheit zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Eine hagere Gestalt trat ins Licht. Ihr Gang war schleifend, der Rücken gebückt und der Kopf gesenkt. Es war ein Mann, erkannte McConnor. Er richtete zögernd die Flinte auf ihn.
«Ihr habt hier nichts zu suchen! Verschwindet, oder ich muss handgreiflich werden.»
Der Mann hielt inne und richtete sich zu seiner vollen Grösse auf. Der gebeugte Rücken hatte ihn kleiner wirken lassen, eigentlich war er aussergewöhnlich gross.
McConnors Atem stockte.
Die Wangen des Mannes waren eingefallen und fahl. Seine Lippen hatten sich zurückgezogen und gaben den Blick auf seine schartigen Zähne frei. Er hatte kaum noch Haare und seine Haut war braun und spannte sich über seine sich klar abzeichnenden Knochen. Eine zerschlissene Hose bauschte sich um seine Beine.
Der Mann sah ihn an. Doch seine Augen waren geschlossen. Und doch wusste McConnor, dass er ihn anblickte. Seine Seele.
McConnor wollte weg von hier, er wollte ganz weit weg von hier. Doch er konnte seinen Körper nicht bewegen. Panik stieg in ihm auf.
Das Geräusch von reissendem Seil ertönte und er nahm wahr wie ein weisser Blitz an ihm vorbei preschte. Belana. In gebührendem Abstand hielt sie an und sah zurück. Sie zögerte, wusste nicht ob sie ihm helfen, oder rennen sollte.
Der unheimliche Fremde öffnete die Augenlieder. Seine Augenhöhlen waren leer.
Doch dann entzündete sich ein reines weisses Licht dort wo bis eben noch Leere geherrscht hatte. Es wurde heller und heller.
Die beiden Lichtstrahlen die aus den Augenhöhlen des Mannes schossen, trafen McConnor mitten in die Brust.
Er wurde nach hinten an die Hüttenwand geschleudert und sank an ihr hinab. Seine Knochen waren zerschmettert. Mit letzter Kraft drehte er den Kopf in die Richtung, in die er Belana vermutet.
«Lauf, Belana. Lauf.», waren die letzten Worte, die Martin McConnor je sagte, bevor er vom weissen Licht verschluckt wurde.
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