"Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein" - Eine Geschichte von Shpetim Islamaj - Young Circle

«Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein» – Eine Geschichte von Shpetim Islamaj

Member Stories 2024

«Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein» – Eine Geschichte von Shpetim Islamaj

Ein scheinbar perfekter Tag neigt sich dem Ende, doch während der Protagonist von Freunden umgeben ist, schleicht sich eine vertraute, düstere Präsenz in sein Leben. Auf dem Nachhauseweg kämpft er mit tiefen Fragen über Identität und Isolation, während er spürt, dass dieser Besuch seine innere Ruhe stört – vielleicht mehr als je zuvor.

Der Himmel ist klar und die Kieselsteine klingen im Rhythmus der auf sie trampelnden Füsse. In der Ferne ist zu hören, wie ein Fluss windet und sich sehnt, nach den Armen des Mondes, welcher stur hoch oben verweilt. Die Sterne zieren den Himmel in einem Muster, welches mir bekannt vorkommt, das Licht bricht in Wegen, die mir vertraut sind, und ich weiss, heute ist eine Nacht, in der du mich besuchst. Unbemerkt nimmst du dir einen Stuhl und gesellst dich zu unserem vollen Tisch, setzt dich genau gegenüber von mir. Heute war ein perfekter Tag gewesen. Ich war aufgestanden, hatte geseufzt und mein Bett gemacht, bevor ich in die Schule gegangen war. Dort hatte ich eine gute Note nach der anderen erhalten und hatte meiner Schwester Mittagessen gekauft. Am Ende des Tages verkrampfte etwas in meiner Brust, und ich realisierte, dass ich nicht genug von heute hatte, weswegen ich meine Freunde in ein Lokal einlud, welches einen atemberaubenden Aussenbereich hatte, von dem man in die Schlucht der Stadt hinunterschauen konnte. So kam es dazu, dass wir zu neunt -mit dir zu zehnt- an einen Tisch gequetscht sind und lauthals über allerlei Dinge sprechen, was uns manchmal den ein oder anderen missbilligenden Blick eines Vorbeigängers erntet. Wenn sie dich sehen können, dann lassen sie es sich nicht anmerken. Ich tue es ihnen gleich und ignoriere dich. Stattdessen widme ich ihnen meine volle Aufmerksamkeit. Sie sprechen in einem Wirbelsturm aus Worten, erzählen mehrere Geschichten gleichzeitig, wobei sie es schaffen, jeder Einzelnen zu folgen und über die lustigen Details, die später kreativ eingesetzte Insider sein werden, zu lachen. Sie strahlen eine Wärme aus, und könnte ich mich jetzt sehen, würden meine Augen Funken reflektieren. Irgendwann aber, bist du nicht mehr aus dem Bild auszublenden, deutest mir mit einem sanften Lächeln, dass ich aufstehen soll. Ich verabschiede mich, umarme jeden und mache mich fröstelnd auf den Weg zum Bahnhof. Du bist an meiner Seite und wir gehen schweigend. Jedes Mal, wenn du kommst, gerate ich in Panik. Ich trete und schlage um mich herum, bis du wieder verschwindest, doch heute verteilt sich ein unruhiger Frieden in mir. Warum höre ich auf dich? Warum bekämpfe ich dich nicht? Ich lausche tief in mich rein und finde verschiedene Antworten, welche aber alle gelogen sind. Ich habe so viel Zeit damit verbracht, Signale und Metaphern zu verbreiten, mich sehnend nach dem Gefühl des Verstandenwerdens, ohne dabei wirklich etwas von Substanz zu kommunizieren. So starb ich langsam, wurde zu einer Hülle die du als Beleidigung deines Werkes ansahst. Doch du verstandest nicht, dass ich mich so schützte, dass ich so einer echten Bindung entkam. Ich konnte den Gedanken nicht ausstehen, mich mit jemandem zu teilen. Ich verzerrte mich und veränderte die Bedeutung dieser Signale, um in ein Narrativ zu passen, welches mir sagte, dass ich alles richtig gemacht hatte, dass die Welt einfach scheisse war und ich keine Schuld trug. Am Ende war ich zwar sicher vor der Berührung der Welt, und voller Gefühle und Gedanken, jedoch ohne jemanden, der sie mir abnehmen konnte. Ich war allein. Aber in den letzten Monaten hat sich etwas geändert. Ich habe Leute kennengelernt, die die Welt als etwas Schönes achteten. Ich nährte an ihrer Leidenschaft am Leben, an der Zuneigung, die sie mir schenkten und fühlte sie durch mein Blut fliessen wie eine Droge.

Ich begann zu glauben ich sehe dich nie wieder. Ich glaubte wieder ich sei lebendig und begann Dinge zu sehen die mir nie zuvor aufgefallen waren. Ist das nicht verrückt? Unsere Realität basierte auf dem Kontext von all dem, was wir sahen, oder eben nicht sahen, und ich hatte mir so viel Mühe gegeben meine Augen zuzukneifen, sodass mir nichts anderes blieb als was in meinem Kopf war. Doch ich habe genug Zeit verbracht, in diesem Tagtraum zu leben, ich habe genug Zeit damit verbracht so zu tun, als könne niemand um mich herum den Gestank meiner Verwesung riechen. Ich nehme deine Hand und lasse mich von dir in den Zug führen. Die Farben sind grell, die Töne der Welt komponiert zu einem Trauerlied und ich weiss du steckst dahinter. Ich lasse mich einlullen und geniesse es. Auf dem Nachhauseweg ächzen meine Beine dort nicht, wo sie üblicherweise Schwierigkeiten hatten, hinaufzukommen und ich verspüre genug Kraft in mir um mehrere Runden um meinen Block zu laufen, was ich aber nicht tue. Ich schliesse die Wohnungstüre auf, meine Eltern und meine Schwestern sind schon am Schlafen. Du folgst mir hinein. Es ist halb eins, und ich setze mich mit dir in den Balkon. Du bist still und wartest. Ich schaue unten auf den Parkingplatz, wende meinen Blick wieder dem lauten Himmel und schliesse meine Augen. Die Konversation, die ich mit einer Freundin gehabt hatte, bevor ich vom Tisch aufgestanden war, geht mir durch den Kopf. Darauf achtend das mich niemand anderes hörte hatte ich die Frage gestellt, bevor ich mich aufhalten konnte. „Denkst du man kann für eine Zeit keine Person sein und irgendwo wieder anfangen eine Person zu sein, oder ist es zu spät, sobald man es einmal aufgegeben hat?“ Sie hatte mich angesehen, kurz überlegt und dann geantwortet: „Ich denke man ist immer eine Person, egal wie sehr man sich darum bemüht, keine zu sein.“ Ich öffne meine Augen, du starrst mich erwartungsvoll an. Ich weiss, was du mir sagen möchtest. Ich hatte meinen Spass, ich hatte Freunde bekommen, den perfekten Tag mit den perfekten Farben und den perfekten Geräuschen. Aber ich will noch mehr. Ist das so verwerflich? In meinen Augen formen sich Tränen und ich schlinge meine Arme um meinen Körper, um sie davor aufzuhalten sich nach dem Mond zu sehnen. Ich denke an all die Nächte, in denen ich hier gesessen war und dem Himmel zugehört hatte. Wie ich in die Dunkelheit meiner Sicht einen Satz geflüstert habe, der meine Realität wurde. Auch jetzt kleben die Worte auf meiner Zunge, doch ich kann sie nicht sagen. Alles, was ich tue, ist weinen, bis du aufstehst und gehst. Ich werde noch mehr sehen.

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