"Was wäre eine Rose ohne Dornen" - eine Geschichte von Lena R. - Young Circle

«Was wäre eine Rose ohne Dornen» – eine Geschichte von Lena R.

Member Stories 2020

«Was wäre eine Rose ohne Dornen» – eine Geschichte von Lena R.

Ich lief als würde ich um mein Leben galoppieren. Meine Hufe schlugen einen dumpfen Takt in der mit Menschen prall gefüllten Halle.

Die Luft war eisenkalt und meine Lunge tat weh, dennoch hatten wir nicht einmal begonnen. Der Reiter auf meinem Rücken umklammerte mich mit seinen Beinen und die Sporen, die er trug, hinterliessen eine Spur von Blut. Die roten Tropfen schimmerten auf meinem weissen Fell. Ich liess dabei nichts anmerken, denn ich wusste was für ein Spiel er spielte. Er wollte sehen wer zuerst nachgeben würde. Doch ich, werde es nicht sein. Nicht dieses Mal. Als ich auf das Hindernis zukam, hob ich meine Vorderbeine und stiess mit meinen Hinterbeinen vom Boden ab. Doch ein wenig zu früh. Ich schaffte es kaum über das Hindernis und eine Stange fiel mit einem Krachen zu Boden. Zumindest hörte es sich so laut an, denn auf einmal war die Halle still geworden und ich wusste, dass ich einen miesen Fehler begangen war. Ich hörte die Peitsche durch die Luft pfeifen, dann spürte ich einen brennenden Schmerz. Ich konnte es nicht länger aushalten. Ich stieg hoch und meine Beine trommelten die Luft. Der Mann, der mein Leben die Hölle machte, zog an den Zügeln. Das Feuer in meinem Herz stillte jedoch nicht, in der Tat brennte es noch heller. Ich buckelte und warf ihn in die Luft. Es war einfach, er war nie wirklich einen guten Reiter gewesen. Sein Körper wölbte sich durch die Luft und fiel zu Boden. Die Freiheit, die ich plötzlich spürte, gab mir einen Adrenalinschub. Ich drehte nochmals eine Runde, bis jemand mich einfangen konnte. Erschüttert, sprach der Jury ins Mikrofon: «Das war die Runde von Wild Rose mit ihrem Reiter Mitch».

In der Nacht gab es weder Heu noch jemand der mich putzte. Ich rief ein lautes Wiehern in die Nacht hinein, doch niemand antwortete. Ich sah nur die Sterne von meiner dreckigen kleinen Koppel und diese funkelten mich an, als hätten sie Mitleid mit mir. Ich brauchte kein Mitleid. Ich war ein Krieger. Doch, nagte Hunger an meinem Magen und ich schabte den Boden voller Ungeduld. In der Stille hörte ich plötzlich das Geräusch eines Autos. Meine Augen weiteten sich vor Schreck. Der Mann, der aus dem Auto stieg, kam humpelnd auf mich zu, ein Paar Krücken zur Hilfe. «Dies wirst du bereuen» Spuckte er. Seine Stimme war voller Hass und Bitterkeit. «Dies wirst du bereuen» Wiederholte er dieses Mal leise. «Denn kein Pferd in meinem Stall überlebt eine solche Runde lange…». Als er zurück zum Haus lief, wurden seine Wörter von der Nacht geschluckt.

Ein Mond ging vorbei. Tag und Nacht verschwammen in einem. Ich hatte angefangen an dem Holzzaun zu knabbern. Meine Rippen zeigten sich in meinem ungepflegten Fell und mein Herzschlag wurde immer schwächer. Ich hatte aufgegeben. Von meiner einsamen Koppel aus hörte ich auf einmal wieder Stimmen. Eine, die raue Stimme meines Reiters und Besitzers. Die zweite, war ein unbekannte. Sie kamen näher bis ich die einzelnen Wörter unterscheiden konnte. «Wenn du ihn kaufen willst, hast du dir nur ein Problem angeschafft. Wertloses Ding. Wer will denn überhaupt ein Pferd, das bockt?» Die raue Stimme, die ich über alles hasste, klingelte in meinen Ohren. «Ich gebe dir zehntausend, nicht mehr» Sagte eine jüngere Frau. Sanfte, braune Locken fielen ihr über das Gesicht. Die Kleider, die sie trug, waren alt und die Farben waren längst abgebleicht. Sie sagte noch einmal fest: «Ich kaufe sie». Als sie mich erreichte, bückte sie sich: «Hallo meine Liebe» Flüsterte sie. Die Frau fuhr mit einem Finger über die Wunde, die die Peitsche hinterlassen hatte. Als ich zu ihr hinauf starrte, merkte ich die kleinen Narben, die ihre Arme kreuzten. Dann merkte ich die Trauer, der sich hinter ihren hübschen Augen verbarg. Sie und ich, wir waren wie Spiegelbilder. Dann wisperte sie: «Er hat falsch. Wer möchte denn eine Rose ohne Dornen?».

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